Autorin

Monat: September 2019 (Seite 1 von 10)

Was der Camino nicht war

Laaangweilig

Vor dem Abflug nach Porto habe ich mir vier Hörbücher runtergeladen. Papierbücher sind ja zu schwer für einen Rucksackpilger. Ich hatte Sorge, es könnte mir langweilig werden. Immer laufen. Natur. Immer dasselbe. Die Wahrheit ist, es war keine einzige Minute langweilig. Selbst bei den härtesten Etappen nicht. Ich habe nicht ein einziges Hörbuch gehört, im Hotel nicht einmal ferngesehen.

Einsam

Ich hätte doch gar niemanden zum reden. So ganz alleine. Das war die Meinung vieler. Ich habe mir dann schon die Frage gestellt, habe ich mir zu viel vorgenommen? Kann ich es mit mir aushalten? Bekomme ich Heimweh, wie bei der letzten Sylt-Reha? Die Wahrheit ist wieder, ich war keine einzige Minute einsam. Ich war alleine und das war schön, aber nie einsam. Ich habe so viele Menschen getroffen, so viele anregende Gespräche geführt, so viel gelernt und so viel Spaß gehabt.

Verbissen

Natürlich gibt es die, die zum Ziel rennen müssen. Aus sportlichem Ehrgeiz oder was auch immer. Es gibt aber auch viele, die in ein Taxi steigen. Man könnte in Santiago einen Tag nur vor der Kathedrale sitzen und den Pilgern beim Ankommen zuschauen. Wie sie feiern. Diese Leichtigkeit. Diese Freude. Diese Menschenfreundlichkeit. Diese Lebensfreude.

Leicht

Der Camino gibt nicht nur, er fordert auch. Leicht ist es nicht. Man braucht Durchhaltevermögen. Er ist nicht leicht zu konsumieren. Er ist unbequem. Er stellt viele Fragen. Am Ende wird man für die Anstrengung belohnt.

Teuer

Jeder, wirklich jeder, kann ihn laufen. Man braucht nur einen Rucksack und gute Schuhe. Ein paar Euro für den Schlafsaal und auch die kann man zur Not einsparen, in dem man kirchliche Angebote annimmt. Wenn man etwas braucht, sind so viele Menschen da, die geben. Ob das Ohrstöpsel sind, die mir Jutta geschenkt hat oder eine Flasche Wasser.

Hasta luego Santiago, wir sehen uns wieder Tag 17 Abreise

Lage

  • Füße: wollen weiterlaufen
  • Pilgeraufkommen: abnehmend
  • Kalorien: Festessen daheim
  • Wetter: Santiago-Wetter, Regen
  • Stimmung: freu mich auf zuhause

Auf der Suche nach einem Friseur, habe ich mich gestern Abend noch neu eingekleidet. In dem Geschäft waren einige Pilgerinnen mit dem gleichen Bedürfnis. Ich bin froh, frische Sachen anziehen zu können und das mufflige Zeug in den Rucksack packen zu können.

Es regnet wieder. Ich trinke im Hotel noch einen Kaffee mit einem Amsterdamer Pilger. Der fährt heute auch heim. Er fährt mit dem Bus nach Porto zurück und fliegt von dort aus direkt heim. Ist auch eine Option. In Barcelona wird am Flughafen wohl gestreikt und es fallen Flüge aus. Meine zum Glück nicht.

Der Flughafen liegt 13 Kilometer entfernt. Eine lässige Tagesetappe. Als ich meinen Rucksack aufziehe ist er so leicht. Ich möchte am liebsten loslaufen.

Ich fahre dennoch Taxi. Die Wanderstiefel sind im Rucksack. Auf dem Weg zum Flughafen sehe ich ein letztes Camino Schild. Ich werde wehmütig.

Caminoschild zum Abschied

Am Flughafen erzählt mir eine Brasilianerin, ihre Caminoerlebnisse. Sie ist mit Schwester und Schwager und sonstiger Familie gelaufen. Zu fünft waren sie, sie haben immer gequatscht und sind zu langsam gelaufen. Schlafen konnte sie in den Gescheinschaftszimmern oder Airbnbs auch nicht. Aber sie fand’s trotzdem toll, hätte nicht gedacht, dass sie so lange Strecken laufen kann. Sie wird das nochmal machen, dann aber alleine. Ich hätte das richtig gemacht.

Meine Compostela

Finde ich auch! Bevor ich aufgebrochen bin, hatte ich Sorge, dass mir das Pilgern gar nicht gefallen würde, dass es mir langweilig sein könnte, dass ich nicht immer allein sein möchte. Ist alles nicht eingetroffen. Es war eine tolle Erfahrung und ich nehme viel mit nach Hause, in meinen Alltag. Ich habe so viele wundervolle Menschen getroffen und Erlebnisse gehabt.

Den Camino Portugues bin gelaufen, um mich zu sortieren, mich zu finden, nach turbulenten Jahren Stille zu suchen.

Ich werde den Camino Frances laufen. 800 Kilometer statt 260. 32 Etappen statt 14. Sechs Wochen statt zwei. Und ich werde nach Gott suchen. Ein bisschen habe ich ihn schon gefunden, er hat sich einige Male gezeigt.

Wenn ich wiederkomme, werde ich frei nach Steve aus Montana sagen können: I was looking for God and I finaly found him.

Käse aus Santiago

Buon Camino everbody.

Zwischen den Welten Tag 16

Lage

  • Füße: Freiheit und Luft
  • Pilgeraufkommen: man ist unter sich
  • Kalorien: prachtvoll wie Santiago
  • Wetter: Regen, Regen, Regen
  • Stimmung: bestens, es geht mir wieder gut

Es regnet. Wie es die Wetterapp vorhergesagt hat. Marisú meint, so würde ich wenigstens noch ein authentisches Bild von Santiago bekommen. So wäre das hier nämlich meistens.

Ich schlafe lange und gut, ziehe die wärmsten Klamotten an, die ich dabei habe und spendiere heute ein Bild der Pilgerin out of Duty.

Pilgerin out of duty

Es ist ungemütlich in Santiago, ich sollte meine Wanderstiefel anziehen, meine Füße wollen aber nicht mehr in geschlossene Räume. Sie wollen an die Luft.

Eine Pflicht habe ich noch zu erledigen. Ich möchte mir meine Compostela, die Pilgerurkunde, ausstellen lassen. Ich schlendere zur Kathedrale, höre ein bisschen den Stadtführern zu und staune doch immer wieder über die Kirchengeschichte. Diese abenteuerlichen Geschichten über den Apostel, wo er anscheinend war und nicht war. Was die Historiker belegen können und was die Menschen glauben. Wie die katholische Kirche ihr Imperium ausgebaut hat und die Pilgerei ein wichtiger Baustein dabei war.

Ich gehe ins Pilgerbüro und ziehe meine Karte. Es ist 9.30 Uhr und ich ziehe schon die Zummer 732. Es warten 731 Pilger vor mir, um Ihre Compostela, die Pilgerurkunde, ausgestellt zu bekommen. Ab 14.00 Uhr werden wohl keine Nummern mehr vergeben, weil die Zeit des Tages nicht mehr reicht, um die Urkunden zu erstellen.

Online kann man verfolgen, wann man mit seiner Nummer dran ist. Es wird für mich noch Stunden dauern. Was tun?

Ich probiere, ob ich im nobelsten Hotel der Stadt, direkt an der Kathedrale frühstücken kann. Das wäre doch ein netter Zeitvertreib und direkt um die Ecke vom Pilgerbüro. Der Parador in Santiago, behauptet das älteste Hotel der Welt zu sein. 1499 als Pilgerherberge gebaut, zwischendurch auch Krankenhaus und heute altehrwürdiges Gemäuer, direkt neben der Kathedrale. So sitze ich glücklich vor einem tollen Frühstück unter Amerikanern, deren Gespräche ungefähr so gehen: Is that the church? Yes, it´s the Cathedral just over there. Oh, really? Wow!

Es regnet wie aus Kübeln, als ob die Dusche läuft. Ich habe überhaupt keine Lust rauszugehen. So sitze ich im Foyer des Parador, als sich Beverly meldet. Ob wir zusammen Mittagessen sollen?

Wir trinken erstmal Kaffee und sind unglaublich stolz auf uns, so eine weite Strecke zurückgelegt zu haben. Inzwischen sind nur noch 50 Pilger vor mir und ich gehe zurück zum Pilgerbüro. Es herrscht Gedränge und ich muss meine Nummer zeigen, es wird bereits niemand mehr eingelassen. Ich stehe und warte, zusammen mit vielen Pilgern. Täglich kommen über 1000 Pilger an, aus allen Richtungen Spaniens.

Beverly erzählt, dass früher, als sie ihren Camino Frances gelaufen sind, die Namen der Pilger in der Kathedrale bei der Messe verlesen wurde. Das Weihrauchfass (wohl das größte der Welt), das Batafumeiro, wurde durch das Kirchenschiff geschwenkt und es war sehr ergreifend. Momentan ist die Kathedrale leider eingerüstet, sie wird restauriert und es finden leider auch keine Pilgermessen darin statt. Da muss ich wohl wiederkommen.

Ich stehe immer noch an. Ein alkoholisierter südafrikanischer Rinderfarmer fragt mich aus. Woher ich komme? Germany. Oh, I have been there, I didńt like it. Hmpf. The germans are rude. Hmpf. I have been in Aachen, they have good bread. Oh, yes, sage ich, good bread and nice Cars. Oh no, I dońt like german Cars. Jetzt geht er mir doch auf den Wecker. Ob er den Camino Frances gelaufen wäre? Yes. Ok, denke ich, 850 Kilometer, wow, meine Bewunderung. Er sei hundert Kilometer gelaufen, wieviele ich denn gelaufen wäre? 260! Why, did you do that, for that, the germans have invented the cars?

Es ist ein touristisches Konzept, Busladungen 100 Kilometer vor Santiago rauszulassen und die Etappen laufen zu lassen. Wenn man nachweisen kann, 100 Kilometer bis Santiago gelaufen zu sein, bekommt man die Compostela. Der Nachweis wird durch den abgestempelten Pilgerausweis erbracht. Ich erfahre noch etwas über Rinderfarming in Durban und bin dann echt froh, als meine Nummer aufgerufen wird. Ich wollte ja nicht unhöflich sein. Obwohl. Wäre auch egal gewesen, denn die Deutschen sind ja, seiner Meinung nach, eh unhöflich.

Die Dame am Schalter gratuliert mir „well done“ und stellt mir meine Compostela aus, die man kostenlos von den kirchlichen Behörden in Santiago bekommt. Ich lasse mir auch noch die Luxusversion ausstellen, mit meinem lateinischen Namen und Kilometeranzahl. Ich trage mich in eine Liste ein, wo ich auch angeben soll, aus welchen Motiven ich gepilgert bin.

Zurück zum Parador. Es regnet immer noch. Wir trinken einen Weißwein. Es wird kalt, wir gehen rein und essen Lunch. Wir sitzen und reden und reden. Beverly will wissen, ob der Camino mein Leben verändert hat. Nein, hat er nicht. Das hat schon der Krebs erledigt. Der Camino ist eine Fortsetzung davon.

Irgendwann wird es Zeit Abschied zu nehmen. Sie werden mir fehlen, die zwei. Es war sehr schön mit ihnen den Camino zu teilen. Wir wünschen uns alles Liebe und hoffen, uns in Berlin oder Sydney wieder zu sehen. Sie nehmen mich in die Mitte, wie ihre sechste Tochter, sagen sie, wir drücken uns, ich werde heimfliegen, sie werden ihre Europatour fortsetzen. Abschiede sind schrecklich für mich, meine Tränen vermischen sich mit dem Regen, als ich zu meinem Hotel gehe.

Es ist schon traurig, bei aller Freude auf daheim, Abschied vom Camino und den beiden zu nehmen.

Als es später aufhört zu regnen, mache ich eine Abschiedstour durch die Gassen von Santiago. Hasta luego.

Es beginnt wieder zu kübeln und ich gehe ins Hotel, packe meinen Rucksack, was ziemlich schnell geht.

Buenes Noches, das letzte mal aus Spanien.

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