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Schlagwort: camino (Seite 3 von 7)

Santiaguino do Monte oder die Vorpremiere Tag 14

Lage

  • Füße: Blasenalarm
  • Pilgeraufkommen: kann nur noch in Santiago getoppt werden
  • Kalorien: richtiges Frühstück vor dem Laufen
  • Wetter: ideales Caminowetter, Nebel und mittags Sonne satt
  • Stimmung: wehmütig, schon jetzt

Ja, was haben wir denn da? Eine Blase, am linken kleinen Zeh. Ich wäre wohl die erste Pilgerin gewesen, die ohne Blasen in Santiago einläuft. Ich bin ja gerüstet für diesen Fall und klebe sofort ein Blasenpflaster darauf. Ist nicht weiter schlimm.

Ich habe Glück, im Pool der ehrwürdigen Pousada ist noch Wasser und ich kann mein tägliches Eisbad nehmen. Wie die Fußballer nach einem fordernden Spiel. Es ist zwar tagsüber noch richtig warm, aber der August war wohl kein richtiger Sommer. Das Wasser der Pools hatte keine Chance sich aufzuwärmen. Ich war so schlau und habe die Caminoreise für den September geplant, weil es da nicht mehr so heiß ist. Aber der galizische Sommer hat extra auf mich gewartet. Dankeschön.

Die Pousada ist putzig, ich kann mir gut vorstellen, wie hier ehemals die Bischöfe von ihrem harten Bischofsleben ausgeruht haben. Im Gang zum Frühstücksraum steht noch eine Beichtbank, zur Deko jedoch. Das Hotel atmet Geschichte. Ich habe ein Zimmer in einem extra Gebäude im Innenhof, ebenerdig, kühl, dunkel, ruhig. Dachte ich.

Am frühen Abend höre ich laute Musik, ich trete aus meinem Zimmer und stehe mitten im Innenhof in einem Spektakel der besonderen Art. Eine galizische Hochzeit. Heute am Donnerstagabend? Da ist richtig was los. Alle sind derart herausgeputzt, dass ich denke, meinen die das Ernst? Die Frauen in den prächtigsten Roben mit Glitzer und Schuhen, für die man erstmal bei Spaniens Next Top Model teilgenommen haben muss. Die Kinder sind mit aufwendigen Frisuren aufgedonnert, Federkleidchen und Glitzer überall. Und die Männer. Schmale Hosen, Brokatsakkos, Samt, große Ringe. Kommt Harald Glöckler auch noch? Zwei Caballeros sind in weiße Reiterhosen, schwarze Reiterstiefel und schwarzem Slim Sakko gekleidet und könnten bei Zoro mitspielen.

Ich bin schwer beeindruckt, und denke, da war meine Hochzeit aber minimalistisch. Sie feiern, Männer laufen mit Gitarren umher und sie tanzen Flamenco Style. Und ich so: Pilgeroutfit.

Der Holländertrupp sitzt beim Apperitiv und staunt mindestens genauso wie ich. Ich weiß nicht was ich lustiger finden soll, die Hochzeitsgesellschaft oder die staunenden Holländer. Als die Dame von der Bar auch ihr Handy zückt und fotografiert, frage ich nach. Es ist bei weitem keine traditionelle galizische Hochzeit, it´s a gipsy wedding. Other culture. From the South of Spain.

Eine Zigeunerhochzeit. Andere Kultur. Aus dem Süden von Spanien. Und Beate mittendrin. Herrlich, nach den Tagen des frugalen Pilgerns, tut mir ein bisschen Amüsement ganz gut. Pech gehabt. Die Hochzeitsgesellschaft hat das Hotel nur für kurze Zeit überfallen. Die Braut wurde aufgebrezelt, sie haben ein Willkommensritual (Interpretation der Ethnologin) aufgeführt und sind dann in ihren Feierlichkeiten wieder abgerauscht. Auch das Hotelpersonal wusste über die Choreographie nicht Bescheid. Übrig bleiben die roten Federn auf dem Boden. Die Caballeros sind jedoch nicht auf ihren Pferden in den Sonnenuntergang geritten, sie haben das Hochzeitsauto gefahren.

Ich bin so in Feierlaune, dass ich das Abendessen ausfallen lasse und stattdessen zwei Gläser Vino Blanco trinke. Die Oliven dazu machen auch satt.

Heute gehe ich ja ein bisschen spazieren. Meine Tagesetappe sind zehn Kilometer. Da muss ich nicht wieder in der Dunkelheit los. Es ist ein Frühstück drin. Der Holländertrupp sitzt schon mit Handgepäck pilgerbereit da und hat die Koffer schon im Foyer deponiert. Da hätte ich in meiner freien Zeit wahrlich keine Lust zu, wieder nach der Uhr leben.

Ich spaziere fröhlich los, das Blasenpflaster leistet gute Arbeit und ich gehe zurück nach Padron zum Camino. Wait. In meiner gelben Bibel ist die Wallfahrt zum Santiaguino do Monte beschrieben. Ein paar Meter neben dem Fuente del Carmen (Carmenbrunnen) beginnen die 114 Stufen zu dem Ort, an dem der Apostel Jakobus seine erste Predigt auf spanischem Boden gehalten haben soll. Die 114 Stufen soll man der Legende nach ohne Pause bewältigen, sonst kommt man nicht in den vollen Genuß der Gnade und Vergebung.

Soll ich da mit meinem Rucksack wirklich hoch? Natürlich stapfe ich hoch und achte peinlichst darauf, in einem Fluß zu gehen. Sonst wäre das ganze ja umsonst. Wenigstens sagt die Legende nicht, dass man da mit den Knien hochrutschen muss. Oben lese ich, dass das die Pilger im 16. Jahrhundert tatsächlich gemacht haben.

Ich bin völlig alleine mit mir und der Welt, die Pilger sind schon auf der Pilgerautobahn. Es ist ein magischer Ort im Morgennebel. Als ich schließlich vor der Santiaguino Statue stehe, bete ich, wünsche meinem verstorbenen Vater Liebe und Frieden, wo immer er auch jetzt ist und weine. Keine Ahnung warum.

Der Weg heute ist nicht besonders schön. Das soll die Schlussetappe sein? Von Padron bis Santiago kann man in einem Tag gehen, es sind ungefähr 24 Kilometer. Ich habe es in zwei Etappen aufgeteilt. Ich möchte morgen ausgeruht in Santiago ankommen und nicht völlig zerstört in die Kathedrale einbiegen.

Eine deutsche Schulklasse pilgert an mir vorbei. Sie machen eine Studienreise. Sind nach Porto geflogen und laufen die letzten drei Etappen des Camino nach Santiago. Hut ab, vor den Lehrern und vor den Schülern. Es sind die üblichen Schülergespräche. Vorne und in der Mitte die mustergültigen Schüler, hinten eher Fack Ju Göhte mit Ghettoblaster und weißer Handtasche.

Ich rufe sofort Jonathan an, habe ihn so lange nicht gesprochen. Ich vermisse ihn.

In einem Café nehme ich mein zweites Frühstück ein. Ein deutsches Ehepaar verursacht Wirbel. Sie haben ihr Gepäck stehen lassen. Sie sind ganz aufgelöst. Die freundliche Spanierin des Cafés regelt alles. Die älteren Herrschaften sind erleichtert. Don und John kommen herein, die zwei lustigen Iren, mit denen ich gestern ein bisschen gelaufen bin. Ich habe ihnen gesagt, dass der Camino eine Sliming Machine ist, sie haben laut gelacht und gemeint, dass es eher eine Alcohol Machine wäre. Die Portugiesin sitzt auch schon da, die gestern so gejammert hat und ich dachte man müsse einen Notarzt für sie holen. Are you ok today? Oh yes, much better. Ihr Pilgerführer/Partner/Begleiter lächelt wissend: es ginge ihr wegen ihm besser, er habe sie lange massiert.

Als dann noch Elsa und Linroy aus Australien reinkommen, denke ich, wie wird das erst in Santiago. Treffe ich alle wieder mit denen ich gelaufen bin?

In Teo verlasse ich den Camino und gehe zum Hotel, das drei Kilometer entfernt liegt. Ich laufe in der Sonne schwitzend den Berg hoch, als eine Spanierin neben mir hält. Sie glaubt ich habe mich verlaufen, hier könne man nicht laufen, kein Camino. Ich zeige ihr wo mein Hotel ist, sie kennt es nicht. Cornide? Kennt sie nicht. Ob sie hier wohne? Ja, natürlich. Ich solle doch mal da unten am Haus klingeln, die wüssten sicher Bescheid. Klar, da, wo die zwei großen Schäferhunde auf ihr Mittagessen warten. Ein Auto kommt den Berg herunter, sie fragt, ob die wüssten, wo Cornide sei? Si, si, den Berg hoch und dann links. Die freundliche Spanierin fragt, ob sie die verschwitzte Pilgerin ins Hotel fahren soll, natürlich, ich lasse mich auf den Beifahrersitz fallen.

Leider nicht. War gelogen. Sie Spanierin steigt, sich entschuldigend und achselzuckend, in ihr kleines Auto ein und düst davon. Lässt mich verdattert in der Sonne stehen, es ist noch ein Kilometer zu meinem Hotel.

Der Umweg hat sich gelohnt. Es ist das schönste Hotel auf der ganzen Pilgerreise. Ein richtiges Zimmer mit großem Badezimmer, richtigen Möbeln, geräumig. Wie jeden Tag, wasche ich meine Klamotten und mich und lege mich zum Schlummern hin. Am Ende bin ich doch wieder 17 Kilometer gelaufen.

Buenes Noches aus Carnide/Teo

Run to Santiago, run! Tag 13

Lage

  • Füße: Hilfe, eine Blase, so müde
  • Pilgeraufkommen: unbeschreiblich hoch
  • Kalorien: sehr zufriedenstellend heute
  • Wetter: bewölkt und nicht zu heiß
  • Stimmung: schade, es ist bald vorbei

Heute ist mir alles zuviel. Ich habe gestern mit Lee doch kein Bier mehr getrunken. Bin im Hotel geblieben, ich war so müde, hungrig und wollte meine Ruhe. Im Restaurant gab es nur ein Pilgermenü, oder auch Menü ohne Pilger. Es war so grauenhaft, dass ich es nicht essen konnte. Also ging ich hungrig ins Bett.

Mein Zimmer war stickig und so bin auch schon wieder früh aufgewacht. Um sieben war ich auf dem Weg zum Camino. Auf das Frühstück im Hotel habe ich verzichtet. Wer so grauenvolle Gerichte auf den Tisch bringt, kann auch kein Frühstück machen.

Es ist stockdunkel und ich freue mich sehr, als ich das erste Caminozeichen finde.

Ich bin alleine unterwegs und wundere mich. Wo sind denn alle? Ich laufe aus dem Städtchen raus und biege in einen Weg durch die Felder und Richtung Wald ein. Niemand ist vor mir und niemand hinter mir. Habe ich mich verlaufen?

Mein ursprünglicher Etappenplan sah drei Tage „Luft“ vor. Heute hätte ich gerne Urlaub vom Camino genommen, wäre gerne in die Thermalquellen von Caldas de Reis gelegen und hätte gerne ausgeruht. Die Zeit habe ich nicht mehr, ich habe mir die restliche Strecke in übersichtliche Etappen aufgeteilt, aus zweien, drei gemacht. Heute habe ich nur 18 Kilometer vor mir.

Ich möchte Ruhe vor dem Camino, nicht senden, nicht sprechen, nicht zuhören. Ich rufe meinen Mann an, ich möchte seine Stimme hören. Schon ist der Weg nicht mehr so neblig, dunkel und einsam.

Kaum habe ich aufgelegt, überrollen mich die Pilger. Haben die sich alle verabredet? Ein Pärchen mittleren Alters, überholt mich, sie laufen Hand in Hand, sie sind ganz in sich und ihr Gespräch vertieft. Drei kleine Spanier, mit sehr kurzen Beinen rennen an mir vorbei. Ein Trupp Holländer, nur mit Handgepäck, stürmt den Berg hoch.

Nach sechs Kilometern ist der nächste Ort erreicht und eine kleine Bar in Sicht. Die steuere ich ohne nachzudenken an und falle fast um, als ich eintrete. Eine Pilgerhöhle. Hier sitzen Pilger, soweit das Auge reicht. Ist mir egal, ich trinke jetzt einen Kaffee und bestelle ein Omelett. Ob ich das Omelett im Brot wolle? Ja, warum nicht.

Ich bekomme einen halben Meter Baguette mit leckerstem spanischen Omelett, mit Käse und Salchicha. Als ich da so zufrieden vor mich hin mampfe, setzen sich zwei Italienerinnen zu mir. So lustig, ich schreibe gerade eine Nachricht an meinen Italienischkurs, mit so wichtigen Informationen, wie, ich frühstücke gerade. „Come se dice breakfast in Italiano?“, die beiden reißen die Augen auf, geben höflich Antwort, Colazione, und fragen warum ich Italienisch lernen würde? Sei tedesca? Ja, ich bin Deutsche und liebe Italien und finde die Sprache schön.

Ich packe mein restliches Omelett ein und laufe weiter. Der Weg ist schön, ich bin satt und die Welt sieht schon wieder ganz anders aus.

Elena und Monica kommen aus Rom. Elena pilgert im Kleid, mit aufgeklebten Wimpern, perfekt geschminkt und toller Frisur. Bella Figura auf dem Camino, das muss man den Italienerinnen schon lassen. Das einzige was mich etwas milder stimmt, ist, dass Elena schon auch ein bisschen zerstört aussieht, der steile Berg hat auch sie geschafft. Sie fragen, wo ich herkomme. Stoccarda. Ah, Stoccarda, das ist doch nicht weit weg von Ulm, wo Einstein geboren wurde. Sehr schöne Stadt, aber Rom ist schon auch schön. Mir fällt fast mein Omelett aus dem Mund, jetzt reiße ich die Augen auf. Elena pilgert nicht nur im Kleid den Camino, sie ist Physikerin am Instituto blablabla in Roma und forscht über dashabeichnichtverstanden über die Frage wasweißdennich.

Ich werde ein bisschen wehmütig, als ich die 40 Kilometermarke nach Santiago erreiche. Bald ist alles vorbei. Die Aufgabe, dem gelben Pfeil hinterherzulaufen ist schon sehr übersichtlich, das kann ich gut bewältigen, das wird mir fehlen.

Heute ist ein unglaublicher Trubel auf dem Camino. Radfahrer, die mit Ghettoblastern an mir vorbei rasen. Mountainbiker die Downhill rasen und dabei filmen. Pilger die im Stechschritt rennen. Pilgergruppen, die ihrem Pilgerführer hinterher rennen. Es ist die vorletzte Etappe vor Santiago, alle haben es eilig, alle rennen zur Kathedrale. Alle wollen ihr Ziel erreichen, je schneller, desto besser. Run to Santiago. Ich komme mir wie eine Schnecke vor.

Vor mir läuft eine Pilgerin in Trekkingsandalen. Ob sie Probleme mit den Füßen habe? Oh ja. Ihre Wanderstiefel baumeln am Rucksack, ebenso frisch gewaschene Socken, ein Handtuch und anderes Pilgerklimbim. Sie sei am Strand 30 Kilometer gelaufen, durch das Outback mit diesen Schuhen gewandert, aber hier wären sie unbrauchbar. Was ist hier anders als in Australien? Die Schuhe sind ein großes Problem für Pilger. Trotz kaputter Füße, beißt sie sich vorwärts. Morgen läuft sie wahrscheinlich auf Socken in Santiago ein.

Padron ist schön. Hier kommen sie her, die Pimentos Padron, die mein Mann so gerne isst.

Ich mache für ein schönes Hotel Überkilometer, es ist eine ehemalige Residenz der Bischöfe von Santiago. Kurz vorm Eingang zum Hotel, zieht wieder der Trupp Holländer an mir vorbei und drängelt sich vor mir an die Rezeption. Run to Santiago, run.

Buenas Noches de Padron. In diesen ehrwürdigen Gemäuern komme ich mir fast, aber nur fast, ein bisschen vor wie eine Pilgernonne.

Das Geschäft mit dem Camino

Der Camino hat viele Facetten, natürlich auch eine Wirtschaftliche. Letztes Jahr waren es um die 80 000 Pilger, die von Porto aus nach Santiago gepilgert sind. Dazu braucht es eine Infrastruktur, die Pilger müssen versorgt, untergebracht und geleitet werden. Bei allem wirtschaftlichen Interesse, die an uns Pilgern unweigerlich bestehen, fühlt man sich auf diesem Camino immer willkommen. Alle sind hilfsbereit und fast schon fürsorglich.

Ob das die Musikerin ist, die im Park „gratis“ Stempel und Musik verteilt. Sie hatte natürlich eine Spendenbox aufgestellt.

Oder die Versorgungsstationen, wo der hungrige und durstige Pilger sich ausstatten kann.

Ich glaube, das beste Geschäft machen die Taxiunternehmen. Zufällig finden sich an besonders anspruchsvollen Strecken kleine Werbeplakate. Ich habe viele erhitzte Pilger in Taxis steigen sehen.

Die Tourismusindustrie hat maßgeschneiderte Angebote für den Urlauber entwickelt. Hotels und Etappen sind vorgebucht, das Gepäck, wird transportiert und der Pilger muss nur wandern, bzw. dem Guide hinterhergehen.

Viele geschäftstüchtige Galizier, die am Weg wohnen, haben ihre Garagen ausgeräumt und zu Cafés umfunktioniert. In ehemaligen Wohnzimmern werden Jakobspilgermuscheln verkauft.

Der Geist, oder die Stimmung auf dem Camino bleibt erhalten, da ändern auch rasende Radpilger nichts daran.

Auf meinem ganzen Weg, hatte ich nur eine Situation, bei der ich dachte: alles nur ein Geschäft. Ich kam aus meinem Hotel, in dem ich nachts fast vom Zug überfahren wurde. Beim Einstieg in den Camino war ein provisorisches Café aufgebaut. Die Dame bot Kaffee und Stempel und allerhand Kram an. Ich fragte sie nach einem Stempel, weil ich das so kurios fand und bekam ein sehr barsches „Customers only“ zu hören.

Es ist doch für alle eine wunderbare Win-Win-Situation, wie der angehende Ökonom Jonathan sagen würde. Wenn dabei noch ein so leckeres Pilgerinnenbier dabei heraus kommt, ist doch allen geholfen.

Salud!

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