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Schlagwort: caminodelcosta

Run to Santiago, run! Tag 13

Lage

  • Füße: Hilfe, eine Blase, so müde
  • Pilgeraufkommen: unbeschreiblich hoch
  • Kalorien: sehr zufriedenstellend heute
  • Wetter: bewölkt und nicht zu heiß
  • Stimmung: schade, es ist bald vorbei

Heute ist mir alles zuviel. Ich habe gestern mit Lee doch kein Bier mehr getrunken. Bin im Hotel geblieben, ich war so müde, hungrig und wollte meine Ruhe. Im Restaurant gab es nur ein Pilgermenü, oder auch Menü ohne Pilger. Es war so grauenhaft, dass ich es nicht essen konnte. Also ging ich hungrig ins Bett.

Mein Zimmer war stickig und so bin auch schon wieder früh aufgewacht. Um sieben war ich auf dem Weg zum Camino. Auf das Frühstück im Hotel habe ich verzichtet. Wer so grauenvolle Gerichte auf den Tisch bringt, kann auch kein Frühstück machen.

Es ist stockdunkel und ich freue mich sehr, als ich das erste Caminozeichen finde.

Ich bin alleine unterwegs und wundere mich. Wo sind denn alle? Ich laufe aus dem Städtchen raus und biege in einen Weg durch die Felder und Richtung Wald ein. Niemand ist vor mir und niemand hinter mir. Habe ich mich verlaufen?

Mein ursprünglicher Etappenplan sah drei Tage „Luft“ vor. Heute hätte ich gerne Urlaub vom Camino genommen, wäre gerne in die Thermalquellen von Caldas de Reis gelegen und hätte gerne ausgeruht. Die Zeit habe ich nicht mehr, ich habe mir die restliche Strecke in übersichtliche Etappen aufgeteilt, aus zweien, drei gemacht. Heute habe ich nur 18 Kilometer vor mir.

Ich möchte Ruhe vor dem Camino, nicht senden, nicht sprechen, nicht zuhören. Ich rufe meinen Mann an, ich möchte seine Stimme hören. Schon ist der Weg nicht mehr so neblig, dunkel und einsam.

Kaum habe ich aufgelegt, überrollen mich die Pilger. Haben die sich alle verabredet? Ein Pärchen mittleren Alters, überholt mich, sie laufen Hand in Hand, sie sind ganz in sich und ihr Gespräch vertieft. Drei kleine Spanier, mit sehr kurzen Beinen rennen an mir vorbei. Ein Trupp Holländer, nur mit Handgepäck, stürmt den Berg hoch.

Nach sechs Kilometern ist der nächste Ort erreicht und eine kleine Bar in Sicht. Die steuere ich ohne nachzudenken an und falle fast um, als ich eintrete. Eine Pilgerhöhle. Hier sitzen Pilger, soweit das Auge reicht. Ist mir egal, ich trinke jetzt einen Kaffee und bestelle ein Omelett. Ob ich das Omelett im Brot wolle? Ja, warum nicht.

Ich bekomme einen halben Meter Baguette mit leckerstem spanischen Omelett, mit Käse und Salchicha. Als ich da so zufrieden vor mich hin mampfe, setzen sich zwei Italienerinnen zu mir. So lustig, ich schreibe gerade eine Nachricht an meinen Italienischkurs, mit so wichtigen Informationen, wie, ich frühstücke gerade. „Come se dice breakfast in Italiano?“, die beiden reißen die Augen auf, geben höflich Antwort, Colazione, und fragen warum ich Italienisch lernen würde? Sei tedesca? Ja, ich bin Deutsche und liebe Italien und finde die Sprache schön.

Ich packe mein restliches Omelett ein und laufe weiter. Der Weg ist schön, ich bin satt und die Welt sieht schon wieder ganz anders aus.

Elena und Monica kommen aus Rom. Elena pilgert im Kleid, mit aufgeklebten Wimpern, perfekt geschminkt und toller Frisur. Bella Figura auf dem Camino, das muss man den Italienerinnen schon lassen. Das einzige was mich etwas milder stimmt, ist, dass Elena schon auch ein bisschen zerstört aussieht, der steile Berg hat auch sie geschafft. Sie fragen, wo ich herkomme. Stoccarda. Ah, Stoccarda, das ist doch nicht weit weg von Ulm, wo Einstein geboren wurde. Sehr schöne Stadt, aber Rom ist schon auch schön. Mir fällt fast mein Omelett aus dem Mund, jetzt reiße ich die Augen auf. Elena pilgert nicht nur im Kleid den Camino, sie ist Physikerin am Instituto blablabla in Roma und forscht über dashabeichnichtverstanden über die Frage wasweißdennich.

Ich werde ein bisschen wehmütig, als ich die 40 Kilometermarke nach Santiago erreiche. Bald ist alles vorbei. Die Aufgabe, dem gelben Pfeil hinterherzulaufen ist schon sehr übersichtlich, das kann ich gut bewältigen, das wird mir fehlen.

Heute ist ein unglaublicher Trubel auf dem Camino. Radfahrer, die mit Ghettoblastern an mir vorbei rasen. Mountainbiker die Downhill rasen und dabei filmen. Pilger die im Stechschritt rennen. Pilgergruppen, die ihrem Pilgerführer hinterher rennen. Es ist die vorletzte Etappe vor Santiago, alle haben es eilig, alle rennen zur Kathedrale. Alle wollen ihr Ziel erreichen, je schneller, desto besser. Run to Santiago. Ich komme mir wie eine Schnecke vor.

Vor mir läuft eine Pilgerin in Trekkingsandalen. Ob sie Probleme mit den Füßen habe? Oh ja. Ihre Wanderstiefel baumeln am Rucksack, ebenso frisch gewaschene Socken, ein Handtuch und anderes Pilgerklimbim. Sie sei am Strand 30 Kilometer gelaufen, durch das Outback mit diesen Schuhen gewandert, aber hier wären sie unbrauchbar. Was ist hier anders als in Australien? Die Schuhe sind ein großes Problem für Pilger. Trotz kaputter Füße, beißt sie sich vorwärts. Morgen läuft sie wahrscheinlich auf Socken in Santiago ein.

Padron ist schön. Hier kommen sie her, die Pimentos Padron, die mein Mann so gerne isst.

Ich mache für ein schönes Hotel Überkilometer, es ist eine ehemalige Residenz der Bischöfe von Santiago. Kurz vorm Eingang zum Hotel, zieht wieder der Trupp Holländer an mir vorbei und drängelt sich vor mir an die Rezeption. Run to Santiago, run.

Buenas Noches de Padron. In diesen ehrwürdigen Gemäuern komme ich mir fast, aber nur fast, ein bisschen vor wie eine Pilgernonne.

Bye Portugal and Hello Friends Tag 9

Lage

  • Füße: dürfen heute an die Luft
  • Pilgeraufkommen: deprimierend, aber selbst Schuld, da Wochenende
  • Kalorien: herrlich
  • Wetter: perfektes Beachwetter
  • Stimmung: dankbar für die Geschenke der Freundschaft

Es ist erstaunlich. Ich wache wieder ausgeruht und fröhlich auf. Packe meine Sachen zusammen und freue mich auf den schönsten Teil des Tages. Morgens loszulaufen ist ein unglaubliches Gefühl der Freiheit und des Glücks. Ich habe alles, was ich brauche bei mir auf dem Rücken und kann gehen wohin ich möchte.

Ich habe in Valenca übernachtet. Die Ponte International führt von da nach Galizien in Spanien. Heute heißt es, Abschied nehmen von meinem geliebten Portugal. Adeus. Ich laufe durch das Fortaleza Valenca, eine unglaublich schöne erhaltene Festungsanlage mit einer schönen Altstadt. Ich kann mich kaum lösen und verabschiede mich in einem schönen Café mit einem Galao und einem Pastel de Coco, obwohl ich kaum Zeit habe. Denn ich habe ein Date.

Eigentlich bin ich nicht hungrig, denn ich habe gestern Abend schon gebührend Abschied gefeiert. Ich bin, in ein vom Hotel empfohlenes Restaurant gegangen und habe mal so richtig ordentlich gegessen. Frango Assado, Salada con azeitonas und ein Bier dazu. Ja, für den erstaunten Leser: ich habe ein Bier getrunken. Und es war unglaublich lecker.

Im Restaurant saßen die vier Österreicher und haben auch schon geschlemmt. Sie fanden den Weg gestern auch sehr anstrengend, haben abgekürzt und sind den Rest mit dem Taxi gefahren. Morgen wollen sie einen Tag Pause in Tui machen. Sie haben viel Zeit.

Ich jedoch, muss rüber nach Spanien, über die Brücke. Es ist ein Spiel. Als ich im Café sitze überholen sie mich wieder. Ich lache und sage, dass ich sie schon wieder einholen werde. Wir Deutsche und Österreicher sind schon reservierter als andere Nationen. Gestern Abend bin ich im Restaurant dazugestoßen. Jede Nation hätte mir einen Platz am Tisch angeboten, ich saß schließlich alleine am Tisch. Was für mich überhaupt kein Problem ist, wie sich herausstellt.

Vor zwei Dingen hatte ich im Vorfeld zwar keine Angst, aber doch Respekt. Vor wilden Hunden und vom alleine Essen. Beides ist überhaupt kein Problem. Ich habe heute früh den ersten wilden Hund getroffen und war wirklich souverän. Sabine, die Tierärztin, wäre derart stolz auf mich gewesen. Um die Dinge gerade zu rücken: ich habe mein Caminotempo beschleunigt und mich eiligst aus dem Staub gemacht.

Heute früh war in meiner Mailbox eine Nachricht von Mariesu. Ich wäre ja nun in der Nähe, ob wir uns heute sehen wollen?

Ich habe mich sehr, sehr gefreut. Mein Sohn Jonathan war vor vier Jahren zum Schüleraustausch in Gondomar und ich habe den Eltern von Nicolas geschrieben, dass ich den Camino Portugues laufen möchte. Mariesu hat meine Strecke verfolgt und mich in ihr Haus eingeladen.

Wir wollen uns in Tui an der Kathedrale treffen. Wie cool ist das denn? Ich muss nicht lange überlegen und sage sofort zu. So laufe ich zwar mit einer großen Saudade für Portugal im Herzen über die Brücke, aber auch voller Vorfreude auf Mariesu und Luis, die ich noch gar nicht kenne. Nur von whatsApp. Um 10 an der Kathedrale also.

Ich stifte noch kurz Verwirrung, weil ich merke, dass es in Spanien bereits eine Stunde später ist. Mariesu regelt das mit spanischer Gelassenheit: treffen wir uns eben nach portugiesischer Zeit. Bei meiner Strecke am Minho hat mich die Uhrzeit auch einige Male verwirrt. Je nachdem, ob ich nun spanisches oder portugiesisches Netz hatte, war eine Stunde Unterschied.

Es sind nur 4 Kilometer bis zur Kathedrale und ich schaffe es, mich nicht zu verlaufen und keine Überkilometer zu machen. Ich sitze im Café an der Kathedrale, trinke einen Café con leche und bin sehr gespannt.

Da kommen die beiden, setzen sich zu mir und vom ersten Augenblick ist es eine Wellenlänge. Luis beschäftigt sich mit galizischer Geschichte, was sage ich, er weiß alles und ich bekomme eine Privatführung durch die Kathedrale von Tui.

Die Pilgerin mit dem Historiker Luis

Sie schlagen vor, nach Baiona und A Guarda zu fahren, dort was zu essen, auf den Monte Santa Trega zu fahren und zum Schluß am Praia America zu baden. Ob ich denn meinen Weg unterbrechen könnte? Na, und ob ich das kann! Wochenende. Ich storniere mein Mehrbettzimmer in einer Unterkunft und freue mich auf alles was kommen wird. Heute soll es wieder so heiß wie gestern werden, da ist mir die Auszeit willkommen. Luis fährt mich morgen zum Camino zurück und ich kann meinen Weg fortsetzen.

Wir fahren erstmal „nach Hause“ und ich kann meinen Rucksack ablegen. Als ich die Treppe zum Gästezimmer hochlaufe, glaube ich gar nicht was ich sehe. Es gibt eine „Wall of Friends“ und da hängen Bilder von Jonathan und Nicolas und auch ein Bild unserer Familie mit Nicolas auf dem Stuttgarter Fernsehturm. Das ist ein herzerwärmender Moment. Ich laufe von Porto nach Tui, von Portugal nach Spanien, komme als Gast in ein Haus in Galizien und da hängt ein Bild von mir. Es war nicht meine beste Zeit, als Nicolas bei uns war. Ich war mitten in meiner Chemotherapie und auf dem Bild trage ich meine Perücke. Und so hänge ich an der „Wall of Friends“. Da muss ich mir glatt ein paar Tränen verdrücken.

Ich ziehe meine Wanderstiefel aus und schlüpfe in meine Trekkingsandalen, ziehe noch schnell die Socken durchs Waschbecken und schon geht es los.

Mariesú und Luis, Monte Santa Trega

Ich habe es beim Laufen auf dem Radweg am Minho entlang öfters bedauert, nicht den Küstenweg in Spanien weitergelaufen zu sein. Jetzt fahren wir ihn bis A Guarda, gehen im Restaurante Chupa Ovos köstliche Meeresfrüchte essen, trinken eine Flasche Weißwein dazu und ich leuchte nicht nur von innen. Wir fahren zum Monte Santa Trega und ich kann die ganze Strecke von oben sehen, die ich in der letzten Woche gelaufen bin. Ich bin von mir selbst beeindruckt. Aber auch hier sei gesagt, dass ich mit meinen 20 Kilometern am Tag den Camino-Schnitt wirklich drücke.

Zum Abschluss dieses wunderschönen Tages, geht es noch zum Schwimmen am Praia America, endlich schwimme ich im Atlantik und die Wassertemperatur ist so, dass Mariesu mir den Orden „real Galizian Woman“ verleiht. Sie selbst badet nicht.

Wieder daheim, schließt mich Pinto, der süße Hund der Familie ins Herz und er liebt mich aufrichtig, nicht etwa den Serranoschinken auf dem Tisch.

Buenas Noches do Gondomar.

© 2024 Beate Mäusle

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