Lage

  • Füße: frisch und ausgeruht, vollkommen blasenfrei
  • Pilgeraufkommen: 4 am Morgen, tagsüber keine, am Ziel gehäuft
  • Kalorien: Frühstücksbüffet geplündert
  • Wetter: Affenhitze
  • Stimmung: speziell, Camino Spirit

Der Camino verzeiht nichts.

Der Buddhist, so liest man, steht morgens auf, geht in den Tag und ist sich sicher, dass er alles bekommen wird, was er braucht. Er braucht gar nichts unternehmen, alles kommt von selbst. Ich war heute ein bisschen Buddhistin.

Ich wache auf dem Jakobsweg meist nach sieben Stunden, völlig ausgeruht auf und freue mich auf den Tag. Wie oft gehe ich daheim, nach achteinhalb Stunden Schlaf, morgens schon müde in den Tag. Unsere ganzen modernen Schlafprobleme kommen nur von zu wenig Bewegung und zu vielen Gedanken im Kopf. Ab auf den Camino und du kannst schlafen.

Ich bin die erste beim Frühstück und plündere das Buffet, das mich wieder durch den Tag tragen wird. Ich habe eine Strecke mit 15 Kilometer am Minho entlang vor mir, wo es keine Verpflegung geben wird. Das Herrenhaus ist einzigartig schön, es hat eine eigene Kapelle und sogar eine Kirchenglocke.

Und so schreite ich ausgeruht und gestärkt die lange Allee entlang zum Portal, durch das ich gestern mit dem Taxi chauffiert wurde. Auf dem Weg zum Hotel, habe ich Caminowegweiser gesehen und mir gemerkt, wo die waren. Sie waren so auf halber Höhe und ich vermute dort den Einstieg.

Im Frühstücksraum sind noch vier österreichische Pilger aufgetaucht, auch sie wollen nach Valenca. Ich verabschiede mich und sage zu ihnen, dass sie mich eh bald überholen werden. Na, da schaun mer mal.

Ich photographiere noch ausgiebig, unter anderem auch das Eingangsportal.

Dann laufe ich die Straße runter, stoße auf ein noch schöneres historisches Anwesen und bin verzückt.

Ich laufe weiter und denke, jetzt müsste doch mal eine Jakobsmuschel kommen, so weit unten war das gestern doch nicht. Ich sehe keinen Wegweiser und zack, schon stehe ich an der Nationalstraße, an der ich gestern ins Taxi gestiegen bin. Ich kann nur zu weit gelaufen sein, drehe um und gehe wieder nach oben. Schon bald sehe ich den ersten Wegweiser und bin erstmal froh, auch wenn ich denke, dass ich hier schon wieder Überstunden mache. Es geht steil nach oben, darum habe ich ja gestern ein Taxi genommen. Ich folge der Beschilderung weiter und kann es kaum fassen. Ich stehe wieder vorm Hoteleingang! Und rechts unten am Portal prangt ein Wegweiser.

3,3 Kilometer, bergab und bergauf, nur damit ich genau wieder am Ausgangspunkt stehe und feststelle, dass der Camino genau am Hotel vorbei geht. Es kommt noch besser. Mein Zimmer lag praktisch auf dem Camino, ich habe auf dem Jakobsweg geschlafen und es nicht gemerkt. Ich hätte einfach nur direkt am Hintereingang loslaufen müssen. Ich bin in die falsche Richtung gelaufen und habe kein einziges Schild gesehen. Ich wollte oder sollte sie nicht sehen.

Der Camino hat mir die Taxifahrt übelgenommen . Ich bin heute früh genau die Strecke gelaufen, die ich gestern abgekürzt habe. Und ich bin den ganzen Berg hochgeschnauft. Verrückt.

Ich bin völlig nassgeschwitzt und kann nach fast einer Stunde endlich mit dem richtigen Weg anfangen. Ich laufe von Gondarem bis Vila Nova de Cerveira über sehr schöne Wege und bin völlig allein unterwegs. In Vila Nova de Cerveira sitzen die Österreicher im Café. Buon Caminho, ich setze mich nicht dazu, denn heute bin ich schlauer. Ich vertrödle nicht die Zeit der kühlen Morgenluft und schwitze dann in der Mittagshitze.

Es beginnt ein 15 Kilometer langer Radweg am Minho entlang und ich habe schon 6,7 Kilometer auf meinem Konto. Schon bald kommt eine Brücke, die nach Spanien führt. Da kommt auch eine Horde Pilger auf mich zu, die mich fragen, wie weit es denn zum nächsten Café ist. Einer jungen Deutschen sage ich, dass sie in die falsche Richtung läuft. Ach nein, sie hat noch soviel Zeit, sie ist einen kleinen Umweg gelaufen, sie läuft jetzt wieder zurück zum Meer. Ok, denke ich. Ich laufe die Umwege unfreiwillig. Ich möchte noch nicht nach Spanien, bleibe noch in Portugal.

Der Weg ist langweilig. Immer schnurgerade, auf einer roten Radpiste und es wird heiß, sehr heiß. Ich laufe und denke an die Mutter im Death Valley, die vor Jahren mit ihrem Kind dort verdurstet ist, weil sie nur einen Liter Wasser dabei hatte. Das wird mir heute auch passieren, ich habe zu wenig Wasser. Dann muss ich lachen. Ich bin an einem besiedelten Flußufer und wenn man an einem Fluß verdurstet, ist man selber doof.

Die Österreicher überholen mich, als ich eine kleine Orangenpause mache. Ich überhole die Österreicher, als sie eine kleine Vesperpause machen. Ich laufe und laufe, denn es ist noch lang. Bei einem schönen Schattenplatz mache ich Mittagspause.

Ich esse, denke an Mireille und ziehe einen Schuh aus. Lege mich auf das Bänkchen. Außer den vier Österreichern, habe ich auf den 9 Kilometern, die ich auf dem Radweg schon gelaufen bin noch niemanden gesehen. Der Wind rauscht durch die Blätter über mir und ich schlummere doch tatsächlich ein. Keine Ahnung wie lange. Leider werde ich unsanft geweckt, denn ich falle doch tatsächlich von der Bank ins Gras. Abgeschmiert. Hab die Bank mit meinem Boxspringbett daheim verwechselt. War wohl ein bisschen zu schmal, das Bänkchen. Das muss sehr komisch ausgesehen haben und ich brauche kurz, bis ich sortiert bin.

Ich ziehe weiter und kämpfe mich durch die Sonne. Die Beine sind gut, der Rucksack nicht zu schwer, aber es ist einfach zu heiß. Die Sonne verbrennt meine Waden, ich decke sie mit einer Jacke ab. Ich überlege was besser ist, das Wasser auszutrinken oder einzuteilen. Ich trinke es aus. Es kann nicht mehr so weit sein. Endlich kann ich den Radweg verlassen und einen Feldweg laufen. Kein Schatten. Von hinten kommt ein Pärchen flotten Schrittes an mir vorbei. Ich muss so jämmerlich aussehen, dass der Mann mich fragt: „Do you need water?“ Es ist mir ein bisschen peinlich und zeige auf meine Flasche. Er schenkt mir ein kühles Wasser, eine ganze kleine Flasche. Ich trinke sie in einem Zug aus „God bless you“, war ich das? So ein buddhistischer Moment aber auch.

Ich latsche wieder alleine, ein Dorf kommt. Eine Frau mit einem Blumenwagen biegt um die Ecke. Sie dekoriert die vielen Kreuze am Weg mit Blumen und steht mir gerne Modell.

Endlich kommt ein Café. Es sieht geschlossen aus. Der Wirt macht mir die Tür auf, nimmt mir meinen Rucksack ab und stellt mir wortlos ein Wasser hin. Ich bin gleichzeitig völlig im Eimer und im Himmel. Er bringt mir eine Karte des spanischen Teils des Camino Portugues und sagt mir, wie weit ich morgen laufen soll und ich soll am besten gleich reservieren, denn da gibt es nichts. Ich buche schnell noch ein letztes Pensionszimmer. Der Wirt ist verliebt in Pilger. „German?“ , „Yes“, „ I know, you have the yellow Bible“. Er kennt schon die Caminoführer der Nationen. Die ganze Wand in seinem Café ist mit Selfies von Wirt und Pilgern tapeziert. Bald bin ich da auch drauf.

Das Café füllt sich mit Pilgern. Wo kommen die denn plötzlich alle her? Zwei Amerikaner setzen sich neben mich und fragen das Übliche. Woher kommst du? Wohin gehst du? Wieviel bist du heute schon gelaufen? Wo übernachtest du? Steve aus Montana zeigt mir die ersten Schneebilder seiner Heimat. Dort schneit es eben. Stefanie aus Utah kommt eigentlich aus Californien. Die beiden haben sich auf dem Camino Frances vor zwei Jahren getroffen. Steve fragt mich nach meinem Motiv für den Jakobsweg. Er selbst macht es dieses Mal um des Laufens Willen. Vor zwei Jahren war er ein Suchender. Er hatte Fragen und suchte eine Antwort. I was looking for Goodness, and I found it. Ich habe nach Güte gesucht und gefunden. Er hat jeden Herbergsvater genervt, weil er wissen wollte, wie er zu seiner Antwort kommen könnte. Einer sagte ihm folgendes: Der Camino bringt dir die Antworten. Just walk. Gehe einfach, verdammt. Hör auf zu fragen, fahr nicht mit dem Taxi und jammere nicht, lauf einfach und halt die Klappe. Just walk and God will tell you the answer. And, sagt er und strahlt über das ganze Gesicht, God gave me the answer and I found Goodness. Gott gab mir die Anwort und ich fand Güte.

Dońt take a Taxi, lache ich und erzähle ihm meine Geschichte von heute früh. Steve lacht und strahlt: yes, the Camino has that kind of Stories and the Camino doesńt want us to take a Taxi! Der Camino bringt solche Geschichten hervor und er möchte nicht, dass wir Taxi fahren! Wir lachen erstaunt und vereint.

Ich breche auf, mein Hotel ist um die Ecke. Steve und Stefanie laufen noch bis Tui, obwohl sie bereits 30 Kilometer in den Beinen haben. Steve schlendert mit Trekkingsandalen. Der Wirt verabschiedet mich mit Küsschen, umarmt mich, ich soll auf mich aufpassen, buon Camino, ohne Verletzungen und: kümmere dich um dich selbst, denn du bist die wichtigste Person in deinem Leben. Bääm!

Steve grinst und fragt mich, ob er mir meinen Rucksack tragen soll. Ja, sage ich, am besten bis Santiago.

Boa Noite, das letzte mal aus Portugal.