Lage

  • Füße: Blasenalarm
  • Pilgeraufkommen: kann nur noch in Santiago getoppt werden
  • Kalorien: richtiges Frühstück vor dem Laufen
  • Wetter: ideales Caminowetter, Nebel und mittags Sonne satt
  • Stimmung: wehmütig, schon jetzt

Ja, was haben wir denn da? Eine Blase, am linken kleinen Zeh. Ich wäre wohl die erste Pilgerin gewesen, die ohne Blasen in Santiago einläuft. Ich bin ja gerüstet für diesen Fall und klebe sofort ein Blasenpflaster darauf. Ist nicht weiter schlimm.

Ich habe Glück, im Pool der ehrwürdigen Pousada ist noch Wasser und ich kann mein tägliches Eisbad nehmen. Wie die Fußballer nach einem fordernden Spiel. Es ist zwar tagsüber noch richtig warm, aber der August war wohl kein richtiger Sommer. Das Wasser der Pools hatte keine Chance sich aufzuwärmen. Ich war so schlau und habe die Caminoreise für den September geplant, weil es da nicht mehr so heiß ist. Aber der galizische Sommer hat extra auf mich gewartet. Dankeschön.

Die Pousada ist putzig, ich kann mir gut vorstellen, wie hier ehemals die Bischöfe von ihrem harten Bischofsleben ausgeruht haben. Im Gang zum Frühstücksraum steht noch eine Beichtbank, zur Deko jedoch. Das Hotel atmet Geschichte. Ich habe ein Zimmer in einem extra Gebäude im Innenhof, ebenerdig, kühl, dunkel, ruhig. Dachte ich.

Am frühen Abend höre ich laute Musik, ich trete aus meinem Zimmer und stehe mitten im Innenhof in einem Spektakel der besonderen Art. Eine galizische Hochzeit. Heute am Donnerstagabend? Da ist richtig was los. Alle sind derart herausgeputzt, dass ich denke, meinen die das Ernst? Die Frauen in den prächtigsten Roben mit Glitzer und Schuhen, für die man erstmal bei Spaniens Next Top Model teilgenommen haben muss. Die Kinder sind mit aufwendigen Frisuren aufgedonnert, Federkleidchen und Glitzer überall. Und die Männer. Schmale Hosen, Brokatsakkos, Samt, große Ringe. Kommt Harald Glöckler auch noch? Zwei Caballeros sind in weiße Reiterhosen, schwarze Reiterstiefel und schwarzem Slim Sakko gekleidet und könnten bei Zoro mitspielen.

Ich bin schwer beeindruckt, und denke, da war meine Hochzeit aber minimalistisch. Sie feiern, Männer laufen mit Gitarren umher und sie tanzen Flamenco Style. Und ich so: Pilgeroutfit.

Der Holländertrupp sitzt beim Apperitiv und staunt mindestens genauso wie ich. Ich weiß nicht was ich lustiger finden soll, die Hochzeitsgesellschaft oder die staunenden Holländer. Als die Dame von der Bar auch ihr Handy zückt und fotografiert, frage ich nach. Es ist bei weitem keine traditionelle galizische Hochzeit, it´s a gipsy wedding. Other culture. From the South of Spain.

Eine Zigeunerhochzeit. Andere Kultur. Aus dem Süden von Spanien. Und Beate mittendrin. Herrlich, nach den Tagen des frugalen Pilgerns, tut mir ein bisschen Amüsement ganz gut. Pech gehabt. Die Hochzeitsgesellschaft hat das Hotel nur für kurze Zeit überfallen. Die Braut wurde aufgebrezelt, sie haben ein Willkommensritual (Interpretation der Ethnologin) aufgeführt und sind dann in ihren Feierlichkeiten wieder abgerauscht. Auch das Hotelpersonal wusste über die Choreographie nicht Bescheid. Übrig bleiben die roten Federn auf dem Boden. Die Caballeros sind jedoch nicht auf ihren Pferden in den Sonnenuntergang geritten, sie haben das Hochzeitsauto gefahren.

Ich bin so in Feierlaune, dass ich das Abendessen ausfallen lasse und stattdessen zwei Gläser Vino Blanco trinke. Die Oliven dazu machen auch satt.

Heute gehe ich ja ein bisschen spazieren. Meine Tagesetappe sind zehn Kilometer. Da muss ich nicht wieder in der Dunkelheit los. Es ist ein Frühstück drin. Der Holländertrupp sitzt schon mit Handgepäck pilgerbereit da und hat die Koffer schon im Foyer deponiert. Da hätte ich in meiner freien Zeit wahrlich keine Lust zu, wieder nach der Uhr leben.

Ich spaziere fröhlich los, das Blasenpflaster leistet gute Arbeit und ich gehe zurück nach Padron zum Camino. Wait. In meiner gelben Bibel ist die Wallfahrt zum Santiaguino do Monte beschrieben. Ein paar Meter neben dem Fuente del Carmen (Carmenbrunnen) beginnen die 114 Stufen zu dem Ort, an dem der Apostel Jakobus seine erste Predigt auf spanischem Boden gehalten haben soll. Die 114 Stufen soll man der Legende nach ohne Pause bewältigen, sonst kommt man nicht in den vollen Genuß der Gnade und Vergebung.

Soll ich da mit meinem Rucksack wirklich hoch? Natürlich stapfe ich hoch und achte peinlichst darauf, in einem Fluß zu gehen. Sonst wäre das ganze ja umsonst. Wenigstens sagt die Legende nicht, dass man da mit den Knien hochrutschen muss. Oben lese ich, dass das die Pilger im 16. Jahrhundert tatsächlich gemacht haben.

Ich bin völlig alleine mit mir und der Welt, die Pilger sind schon auf der Pilgerautobahn. Es ist ein magischer Ort im Morgennebel. Als ich schließlich vor der Santiaguino Statue stehe, bete ich, wünsche meinem verstorbenen Vater Liebe und Frieden, wo immer er auch jetzt ist und weine. Keine Ahnung warum.

Der Weg heute ist nicht besonders schön. Das soll die Schlussetappe sein? Von Padron bis Santiago kann man in einem Tag gehen, es sind ungefähr 24 Kilometer. Ich habe es in zwei Etappen aufgeteilt. Ich möchte morgen ausgeruht in Santiago ankommen und nicht völlig zerstört in die Kathedrale einbiegen.

Eine deutsche Schulklasse pilgert an mir vorbei. Sie machen eine Studienreise. Sind nach Porto geflogen und laufen die letzten drei Etappen des Camino nach Santiago. Hut ab, vor den Lehrern und vor den Schülern. Es sind die üblichen Schülergespräche. Vorne und in der Mitte die mustergültigen Schüler, hinten eher Fack Ju Göhte mit Ghettoblaster und weißer Handtasche.

Ich rufe sofort Jonathan an, habe ihn so lange nicht gesprochen. Ich vermisse ihn.

In einem Café nehme ich mein zweites Frühstück ein. Ein deutsches Ehepaar verursacht Wirbel. Sie haben ihr Gepäck stehen lassen. Sie sind ganz aufgelöst. Die freundliche Spanierin des Cafés regelt alles. Die älteren Herrschaften sind erleichtert. Don und John kommen herein, die zwei lustigen Iren, mit denen ich gestern ein bisschen gelaufen bin. Ich habe ihnen gesagt, dass der Camino eine Sliming Machine ist, sie haben laut gelacht und gemeint, dass es eher eine Alcohol Machine wäre. Die Portugiesin sitzt auch schon da, die gestern so gejammert hat und ich dachte man müsse einen Notarzt für sie holen. Are you ok today? Oh yes, much better. Ihr Pilgerführer/Partner/Begleiter lächelt wissend: es ginge ihr wegen ihm besser, er habe sie lange massiert.

Als dann noch Elsa und Linroy aus Australien reinkommen, denke ich, wie wird das erst in Santiago. Treffe ich alle wieder mit denen ich gelaufen bin?

In Teo verlasse ich den Camino und gehe zum Hotel, das drei Kilometer entfernt liegt. Ich laufe in der Sonne schwitzend den Berg hoch, als eine Spanierin neben mir hält. Sie glaubt ich habe mich verlaufen, hier könne man nicht laufen, kein Camino. Ich zeige ihr wo mein Hotel ist, sie kennt es nicht. Cornide? Kennt sie nicht. Ob sie hier wohne? Ja, natürlich. Ich solle doch mal da unten am Haus klingeln, die wüssten sicher Bescheid. Klar, da, wo die zwei großen Schäferhunde auf ihr Mittagessen warten. Ein Auto kommt den Berg herunter, sie fragt, ob die wüssten, wo Cornide sei? Si, si, den Berg hoch und dann links. Die freundliche Spanierin fragt, ob sie die verschwitzte Pilgerin ins Hotel fahren soll, natürlich, ich lasse mich auf den Beifahrersitz fallen.

Leider nicht. War gelogen. Sie Spanierin steigt, sich entschuldigend und achselzuckend, in ihr kleines Auto ein und düst davon. Lässt mich verdattert in der Sonne stehen, es ist noch ein Kilometer zu meinem Hotel.

Der Umweg hat sich gelohnt. Es ist das schönste Hotel auf der ganzen Pilgerreise. Ein richtiges Zimmer mit großem Badezimmer, richtigen Möbeln, geräumig. Wie jeden Tag, wasche ich meine Klamotten und mich und lege mich zum Schlummern hin. Am Ende bin ich doch wieder 17 Kilometer gelaufen.

Buenes Noches aus Carnide/Teo