Lage
- Füße: immer noch keine Blasen
- Pilgeraufkommen: konjunktureinbruch, nur 10 Pilger gesichtet
- Kalorien: kein Vesper, zerbröselter Amaranthriegel (sicher beim Sturz atomisiert) aus dem Rucksack verhindert das Schlimmste
- Wetter: heiß, 34 Grad, Sonnenbrand auf den Waden
- Stimmung: blendend, frisch gewaschener Körper in frischer Wäsche, herrlich
Nach sorgfältiger Risikoabwägung, insbesondere was die potentielle Blasenbildung betrifft, habe ich, die abschätzigen Blicke von Mireille im Hinterkopf, meine Socken durch das Waschbecken gezogen. War das eine braune Brühe, kann ich sagen.
Weil ich schon dran war, habe ich große Wäsche gemacht. Ich hatte zwar ein großes Appartment, aber keine Möglichkeit alles aufzuhängen. Die kleine Küche ist mit einer Mikrowelle ausgestattet. Manche Fragen möchte man nicht googeln.
Mikrowelle – Wäsche – trocknen, z.B. nicht. Wofür hat man denn Freundinnen? Sie sind wie Google, sind immer für einen da und wissen alles. Manchmal besser.
Per WhatsApp habe ich die Frage gestellt und in Echtzeit eine entsetzte Antwort bekommen. Bloß nicht. Brandgefahr. Naja, dachte ich mir fast. Wozu gibt es sonst Trockner. Da könnte man sonst ein Kombigerät haben. Wäre platzsparend. Es folgt der Rat, ich solle den Föhn nehmen. So stehe ich morgens um sechs im Bad und föhne meine Socken.
Im Appartment gibt es kein Frühstück und ich nehme mir vor, erst in Caminha in ein Café zu gehen. Der Weg an der Küste entlang ist wunderschön. Überall sind Hortensienbüsche. Es sieht aus wie in der Bretagne. Ich kann es nicht lassen. Schon wieder trage ich eine Hortensienblüte, eine Lilie und Rosmarin mit mir. Nachdem meine Italienischlehrerin mir nochmal den Unterschied zwischen Blumen und Zweigen erklärt hat, mutiere ich zur Blumenhealingpilgerin.
In Praia de Moledo verabschiede ich mich mit einem schönen Frühstück vom Atlantik. Die weitere Strecke geht am Minho entlang.
Ich habe Hunger, denn aus dem Dinner mit Beverly und Hugh wurde gestern Abend nichts. Die beiden haben sich den Magen mit einem Pasteis de Nata verdorben und hängen in den Seilen. Können heute wohl auch nicht weiterpilgern.
Beverly und Hugh sind Mitte/Ende 70 und Caminojünger. Sie kommen aus Sydney und wohnen auf einer Farm am Stadtrand. Die Farm mit den Tieren hatten sie aber nur zum Spaß für ihre fünf Kinder. Seit die Kinder groß sind, wollen sie reisen und keine Tiere mehr versorgen. Sie sind in der Camino Gesellschaft in Sydney aktiv. Vor 15 Jahren sind sie in fünf Wochen den Camino Frances (Keiminou Franscheis) gelaufen. Nun sind sie nach Lissabon geflogen, wollen nach Santiago pilgern, von dort nach Madrid fliegen, von Madrid nach Kroatien, wo sie Freunde besuchen, die sie auf dem Camino getroffen haben. Auf dem Camino findet man Freunde für´s Leben, sagt Beverly. Den Abschluss bildet Rom, wo sie noch einige Wochen bleiben wollen, bevor es wieder zu den Kindern und vielen Enkeln geht. Davor machen Sie noch eine Cruise im Mittelmeer. Amsterdam, Barcelona und wer weiß was noch.
Beverly fragt nach meiner Motivation für den Camino. Sie beide laufen ihn, weil sie fit bleiben wollen. Es hilft nicht nur den Geist fit zu halten, der Körper muss bewegt bleiben und das schmiert das Gehirn.
Hugh fragt mich, ob ich meditiere. Erzählt mir von der Theorie, dass unsere Seele und das Unterbewusstsein von einer externen Quelle gespeist wird. Von wissenschaftlichen Grundlagen. Ich spüre, dass ihn etwas sehr beschäftigt. Er erzählt von einem Meditationscamp, wo er täglich von 4.30 bis 20.30 auf einer Holzbank sitzend meditiert hat. Eine Stunde Meditation, halbe Stunde Pause. Wiederholung.
Er erzählt, dass er aus seinem Körper rausgeschwebt ist und sich in einem historischen Gewand stehen sah. Es gab ein Feuer und viele Menschen einer vergangenen Kultur sind um ihn getanzt. Er ist immer noch erschüttert von dem Erlebnis, er weint und sucht nach Einordnung des Erlebten. Ich erzähle von meinen Chakrameditationen und den Erfahrungen in Sri Lanka.
Beverly unterbricht uns, „he is so emotional about this“ und mahnt zum Aufbruch. Das war gestern. So trennten sich unsere Wege. Die beiden machen einen Tag Pause, können nicht laufen.
In Caminha hole ich mir im Tourist Office einen Stempel und trinke noch einen Café. Es ist schon ziemlich heiß. Der weitere Weg ist nicht sehr schön. Geht an der Nationalstraße entlang und macht echt keinen Spaß. Ich sehe nur wenige Pilger. Beverly schreibt mir, sie sind in Villadesuso. Mit dem Taxi hingefahren, an Horden von Pilgern vorbei. Aha. Da sind sie also. Die meisten setzen mit der Fähre in Caminho über den Minho und laufen an der spanischen Küste weiter. Ich habe mich für den Camino auf portugiesischer Seite am Minho entlang entschlossen. Am Samstag werde ich in Spanien sein.
Doch jetzt muss ich erstmal nach Gondarem, sieben Kilometer liegen noch vor mir. Gestern Abend habe ich noch eine Reservierung in einem Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert gemacht. Es muss einen herrlichen Ausblick über das Flusstal haben. Ich komme ins Grübeln. Ausblick? Ausblick bedeutet Höhe. Wie weit muss ich da hochlaufen?
Ich habe keine Lust mehr. Der Weg ist ätzend, es ist heiß. Ein Taxi kommt mir entgegen. Lässig, im NYC-Style, hebe ich meine Hand und bedeute Mitfahrbereitschaft. Das Taxi biegt tatsächlich ab, leider nur in ein Restaurant zum Mittagessen. Mist.
Ich trotte weiter. Es ist so heiß, ich bin noch frohen Mutes, denke aber, muss denn jeder Tag tatsächlich so kaputt enden. Wieder ein Taxi. Ich winke. Es fährt weiter. Es müssen noch vier Kilometer sein, dann habe ich es geschafft. Noch ein Taxi, ich winke wieder. Es fährt weiter. Dreht aber um und hält neben mir. Mein Herz hüpft. Bei Kilometer 14 steige ich in ein Taxi und lass mich zum Herrenhaus chauffieren. Ich bin einfach nur froh. Es ist brütend warm und ich hätte einen schrecklichen Berg hochlaufen müssen. Wegen der Aussicht. Der Taxifahrer trägt mir meinen Rucksack hinterher und ist verblüfft, wie schwer er ist. Das bin ich auch jeden Tag.
Es ist eine hochherrschaftliche Einfahrt. Hätte blöd ausgesehen, wenn ich da in brütender Hitze angeschlurkt gekommen wäre. Ich muss das morgen alles wieder zurück laufen, denke ich dennoch.
Das Hotel ist wunderschön, die Menschen so unglaublich nett und ich lasse mich frisch geduscht ins Bett fallen und schlafe sofort ein.
Als Pilger hat man ja kein Auto dabei und möchte möglichst wenig Schritte außerhalb des Camino machen. Deshalb buche ich im Hotelrestaurant ein Abendessen. Nach einem entspannenden Nachmittag am Pool, genieße ich die Abendstimmung und sitze mal wieder in einem richtigen Sofa in der Hotellobby. Man ist vornehm im Herrenhaus, es wird zum Essen geklingelt. Gut, dass ich mich schick gemacht habe. Ausgehtreckingsandalen, Blüsecken und Lippenstift. Gut, die Sportleggins und „Handtasche“ passen nicht so ganz ins Bild.
Wir sitzen in einem historischen Raum mit großem Kamin und Azulejos an den Wänden. Außer mir ist noch ein junges Paar mit einem Baby da. Es gibt Gemüsesuppe, Arroz de Mariscos und ein Nachtischbuffet. Dazu trinke ich Vinho Verde. Ich bin ausgehungert und im Glück. Das Baby weint. Es ist zwei Wochen alt, ich frage wie es heißt und bin elektrisiert. Beatrice! Das Baby heißt wie ich. Es ist kein üblicher Name in Portugal. Die Mama geht nach dem Nachtisch mit dem Baby auf´s Zimmer und ich komme mit dem Vater ins Gespräch. Sie sind aus Porto und machen hier ein paar Tage Ferien mit dem Neugeborenen. Als Pilger kommt man mit den Menschen viel intensiver ins Gespräch. Er fragt mich nach meinen Motiven für den Weg nach Santiago. Er denkt darüber nach, den Weg nächstes Jahr mit seinem Bruder zu laufen. Ich empfehle ihm, den Camino alleine zu laufen. Es ist eine sehr intensive Erfahrung alleine, man muss sich zuhören und man kommt viel schneller mit anderen Menschen in Kontakt. Es ist ein tiefschürfendes Gespräch über das Pilgern, das Hamsterrad, unsere Gesellschaft und die Schönheit des Lebens. Er steht auf und geht. Ich denke, was für ein Stoffel, habe ich mich so getäuscht. Er kommt mit einer Visitenkarte zurück. Pedro Silva aus Porto. Er hat mir seine Telefonnummer und Adresse aufgeschrieben. Wenn ich Hilfe brauche oder eine Sorge habe, soll ich nicht zögern ihn anzurufen.
Heute dachte ich der Camino sagt gar nichts. Aber am Abend ist er zur Hochform aufgelaufen.
Boa Noite überm Herrenhaus. Hier werde ich gut schlafen.
Ich konnte es natürlich nicht lassen und habe: Mikrowelle – Wäsche – trocknen, gegoogelt. Bietet sich bei schlechter Laune an. Geschichten gibt es.