Lage

  • Füße: ohne Blasen, aber sie weigern sich in die Kompressionssocken zu steigen
  • Pilgeraufkommen: ich habe sie gefunden und das Geheimnis gelüftet
  • Kalorien: die Jakobswegpilgerin isst erstmals Jakobsmuscheln
  • Wetter: bewölkt, die Waden sind trotzdem in einer (der Einzigen) langen Hose eingepackt
  • Stimmung: schlafen hilft immer

Eventuell neige ich dazu, den Camino romantisch zu verklären und interpretiere Dinge, die völlig normal sind, in spirituelle Sphären. Gestern Abend war gar nichts romantisch oder gar spirituell und es gibt nichts schön zu reden. Doch! Das einzig Gute war das Cerveza, das geschmeidig in mich reinlief. Sonst war nichts geschmeidig.

Das Hotel, das so schöne Bilder hervorbringt, war eigentlich eine Katastrophe. Vor dem Hotel war die Nationalstraße 550 und hinter dem Hotel zum Meer, verlief die Eisenbahnlinie. Für einen zusätzlichen Zehner habe ich mir die Eisenbahn durchs Zimmer fahren lassen. Das Restaurant war stickig, das Essen lausig und das WLAN nicht funktionstüchtig. Ich habe den Hotelbesitzer bezüglich des WLANs zur Rede gestellt und er hat es mit einem „no funciona“ abgetan und mich stattdessen mit einem Quatsch über den Camino zugeschwallt. Ich habe das getan, was in so einer Situation das Beste ist: geschlafen. Das Zimmer, oder und ich, waren so warm, dass ich das Fenster aufgelassen habe. Eine Stunde später bin ich vor Schreck fast aus dem Bett gefallen, ich dachte, nix mit Santiago, ich werde vom Zug überfahren.

Ich bin um sechs aufgewacht und habe zusammengepackt und ein Frühstück nicht in Erwägung gezogen. Es wurde erst um 8.30 Uhr serviert und die Qualität des Abendessens, hat mich nicht dazu verleitet, zu warten. So bin ich also bei Dunkelheit, zur Rezeption und Bar in einem, gegangen und habe meinen Schlüssel abgegeben. Eine sehr nette Spanierin hat das Frühstück gerichtet und mir die Tür aufgeschlossen. Ob ich alleine laufe? Sie hat raus in die Dunkelheit geschaut und mich gefragt, ob ich noch einen Kaffee möchte. Och, warum nicht. Ein Brot dazu? Nein, danke. Eine Madalena? Och, warum nicht. Sie wollte mich nicht alleine in der Dunkelheit loslaufen lassen.

Als ich bezahlen wollte, wünscht sie mir einen Buon Camino. So schlecht war das Hotel nun doch nicht.

Ich laufe an der Nationalstraße und hoffe, den Einstieg in den Camino in der Dunkelheit zu finden. Nach ungefähr zwei Kilometern an der Nationalstraße traue ich meine Augen nicht. Der Camino verläuft genau da und ich sehe Horden von Pilgern aus dem dunklen Wald kommen. Hier sind die alle! Seit einer Woche latsche ich denen hinterher, weil die schon in der Dunkelheit loslaufen und natürlich auch noch viel schneller als ich. Am Rastparkplatz der Nationalstraße ist ein Pilgershop aufgebaut. Ich fasse es nicht. Das geheime Leben der Pilger. Ist mir bislang entgangen.

So reihe ich mich in die Pilgerautobahn ein. Muss nur hinterherlaufen. Heute habe ich eine kurze Strecke. Es sind nur 14 Kilometer bis Pontevedra. Das schaffe ich ja bis zum späten Frühstück.

Ich laufe durch ein Museum. Alte Brücken und Gebäude. Pittoreske Dörfer. Schöne Gärten. Es sind so viele Pilger auf dem Weg, man kann sich nicht einfach mal in die Büsche schlagen oder eine Feige vom Baum naschen.

Nach einigen Stunden zerteilt sich das Feld. Die meisten sind vorgerannt. Eine Weile laufe ich mit Elsa und Linroy aus Melbourne. Sie kommen von Lissabon und einer Douro Kreuzfahrt und laufen nun seit heute nach Santiago. Elsa schlendert mit ihrem Sonnenhut in der Hand und Linroy hat ein kleines Rucksäckchen. Selbstverständlich haben sie schöne Hotels vorgebucht und der Gepäckservice bringt die Koffer von Hotel zu Hotel. Danach geht es nach Madrid und dann wieder heim. Sie würden nie wandern, Elsa läuft nur, wenn das Auto in der Werkstatt ist, aber es sei sehr populär in Australien, in Spanien zu laufen. Es wäre jetzt schon ein bisschen blöd mit dem Wetter, weil sie im australischen Winter schon Skifahren waren und jetzt sei es hier so warm. Luxusprobleme der westlichen Welt. Kann man in Australien Ski laufen? Habe ich vergessen zu fragen.

Nach drei Stunden bekomme ich richtig Hunger und laufe (wieder) hinter Australiern, die über die Restaurants ihrer Heimat reden. Die Lasagne (Lasanjei) bei Pedro (Pidrou) sei schon sehr phänomenal. „Stop it, I am hungry „ höre ich mich sagen, ist mir so rausgerutscht. Großes Gelächter und nette Gespräche. Sie bieten mir alles Essbare an, das sie dabei haben.

Unsere Wege kreuzen sich noch einige male und jedes mal reden sie über anderes, für mich, belangloses Zeug. Bin ich froh, dass ich vor mich hin denken darf.

Pilger sind erfindungsreich. Es werden nicht nur Steine abgelegt, an Zäunen werden Holzkreuze angebracht. Steine werden auf dem Weg voll geschrieben. Jeder möchte seine Last ablegen, sich zum Ausdruck bringen.

Der Weg heute ist sehr schön und erinnert mich an Südtirol. In den alten Steinwegen, kann man die Spurrinnen alter Eselsgespanne sehen. Was haben sich die Menschen früher geplagt, denke ich. Da ist doch so ein Rucksack schleppen eine Kleinigkeit.

Mein Rucksack. Die ersten zwei Tage, hätte ich ihn am liebsten im Meer versenkt, inzwischen gehört er zu mir, ist fast schon Teil meines Körpers. Ich spüre ihn kaum noch. Ok, nach vier Stunden dann schon.

Um die Mittagszeit bin ich schon in Pontevedra und laufe den gelben Pfeilen nach, die den Weg zur offiziellen Pilgerherberge anzeigen. Ich biege um die Ecke und denke, jetzt haben sie mich aber veräppelt, hier ist doch nichts. Viele Pilger sitzen auf der Straße im Schatten und am Tor zur Herberge sind meterweise Rucksäcke aufgereiht.

Nun verstehe ich. Die Reihenfolge der Rucksäcke definiert den Einlass in die Herberge. Es gibt eine bestimmte Anzahl von Betten und um die wird gerangelt. Die Herberge ist oft auf Spendenbasis, hier kostet die Nacht in einem Bett im Schlafsaal wohl sechs Euro.

Meine Güte. Morgens Losrennen, in der Sonne sitzen und um einen Platz kämpfen, wenn voll, dann weiterlaufen. Ich bin ein Luxuspilger and I know it.

Mein Hotelzimmer, zum Booking.com Schnäppchen von 44 Euro, ist wundervoll. Mitten in der schönen Altstadt mit Restaurant und Café. Ich esse Jakobsmuscheln a la Galega, während ich auf mein Zimmer warte.

Jakobsmuscheln für die Jakobspilgerin

Es sind nur noch 68 Kilometer bis Santiago und ich wollte mir das einteilen und keine Mamuttouren mehr machen. Ist wieder mal schöne Theorie. Morgen muss ich zwanzig Kilometer laufen, weil es vorher keine Hotels gibt. Ich habe über 200 Kilometer in den Beinen und je schwerer die werden, desto leichter wird mein Herz und Kopf.

Buenas Noches aus Pontevedra.