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Schlagwort: Portugal

The Camino doesńt want you to take a Taxi Tag 8

Lage

  • Füße: frisch und ausgeruht, vollkommen blasenfrei
  • Pilgeraufkommen: 4 am Morgen, tagsüber keine, am Ziel gehäuft
  • Kalorien: Frühstücksbüffet geplündert
  • Wetter: Affenhitze
  • Stimmung: speziell, Camino Spirit

Der Camino verzeiht nichts.

Der Buddhist, so liest man, steht morgens auf, geht in den Tag und ist sich sicher, dass er alles bekommen wird, was er braucht. Er braucht gar nichts unternehmen, alles kommt von selbst. Ich war heute ein bisschen Buddhistin.

Ich wache auf dem Jakobsweg meist nach sieben Stunden, völlig ausgeruht auf und freue mich auf den Tag. Wie oft gehe ich daheim, nach achteinhalb Stunden Schlaf, morgens schon müde in den Tag. Unsere ganzen modernen Schlafprobleme kommen nur von zu wenig Bewegung und zu vielen Gedanken im Kopf. Ab auf den Camino und du kannst schlafen.

Ich bin die erste beim Frühstück und plündere das Buffet, das mich wieder durch den Tag tragen wird. Ich habe eine Strecke mit 15 Kilometer am Minho entlang vor mir, wo es keine Verpflegung geben wird. Das Herrenhaus ist einzigartig schön, es hat eine eigene Kapelle und sogar eine Kirchenglocke.

Und so schreite ich ausgeruht und gestärkt die lange Allee entlang zum Portal, durch das ich gestern mit dem Taxi chauffiert wurde. Auf dem Weg zum Hotel, habe ich Caminowegweiser gesehen und mir gemerkt, wo die waren. Sie waren so auf halber Höhe und ich vermute dort den Einstieg.

Im Frühstücksraum sind noch vier österreichische Pilger aufgetaucht, auch sie wollen nach Valenca. Ich verabschiede mich und sage zu ihnen, dass sie mich eh bald überholen werden. Na, da schaun mer mal.

Ich photographiere noch ausgiebig, unter anderem auch das Eingangsportal.

Dann laufe ich die Straße runter, stoße auf ein noch schöneres historisches Anwesen und bin verzückt.

Ich laufe weiter und denke, jetzt müsste doch mal eine Jakobsmuschel kommen, so weit unten war das gestern doch nicht. Ich sehe keinen Wegweiser und zack, schon stehe ich an der Nationalstraße, an der ich gestern ins Taxi gestiegen bin. Ich kann nur zu weit gelaufen sein, drehe um und gehe wieder nach oben. Schon bald sehe ich den ersten Wegweiser und bin erstmal froh, auch wenn ich denke, dass ich hier schon wieder Überstunden mache. Es geht steil nach oben, darum habe ich ja gestern ein Taxi genommen. Ich folge der Beschilderung weiter und kann es kaum fassen. Ich stehe wieder vorm Hoteleingang! Und rechts unten am Portal prangt ein Wegweiser.

3,3 Kilometer, bergab und bergauf, nur damit ich genau wieder am Ausgangspunkt stehe und feststelle, dass der Camino genau am Hotel vorbei geht. Es kommt noch besser. Mein Zimmer lag praktisch auf dem Camino, ich habe auf dem Jakobsweg geschlafen und es nicht gemerkt. Ich hätte einfach nur direkt am Hintereingang loslaufen müssen. Ich bin in die falsche Richtung gelaufen und habe kein einziges Schild gesehen. Ich wollte oder sollte sie nicht sehen.

Der Camino hat mir die Taxifahrt übelgenommen . Ich bin heute früh genau die Strecke gelaufen, die ich gestern abgekürzt habe. Und ich bin den ganzen Berg hochgeschnauft. Verrückt.

Ich bin völlig nassgeschwitzt und kann nach fast einer Stunde endlich mit dem richtigen Weg anfangen. Ich laufe von Gondarem bis Vila Nova de Cerveira über sehr schöne Wege und bin völlig allein unterwegs. In Vila Nova de Cerveira sitzen die Österreicher im Café. Buon Caminho, ich setze mich nicht dazu, denn heute bin ich schlauer. Ich vertrödle nicht die Zeit der kühlen Morgenluft und schwitze dann in der Mittagshitze.

Es beginnt ein 15 Kilometer langer Radweg am Minho entlang und ich habe schon 6,7 Kilometer auf meinem Konto. Schon bald kommt eine Brücke, die nach Spanien führt. Da kommt auch eine Horde Pilger auf mich zu, die mich fragen, wie weit es denn zum nächsten Café ist. Einer jungen Deutschen sage ich, dass sie in die falsche Richtung läuft. Ach nein, sie hat noch soviel Zeit, sie ist einen kleinen Umweg gelaufen, sie läuft jetzt wieder zurück zum Meer. Ok, denke ich. Ich laufe die Umwege unfreiwillig. Ich möchte noch nicht nach Spanien, bleibe noch in Portugal.

Der Weg ist langweilig. Immer schnurgerade, auf einer roten Radpiste und es wird heiß, sehr heiß. Ich laufe und denke an die Mutter im Death Valley, die vor Jahren mit ihrem Kind dort verdurstet ist, weil sie nur einen Liter Wasser dabei hatte. Das wird mir heute auch passieren, ich habe zu wenig Wasser. Dann muss ich lachen. Ich bin an einem besiedelten Flußufer und wenn man an einem Fluß verdurstet, ist man selber doof.

Die Österreicher überholen mich, als ich eine kleine Orangenpause mache. Ich überhole die Österreicher, als sie eine kleine Vesperpause machen. Ich laufe und laufe, denn es ist noch lang. Bei einem schönen Schattenplatz mache ich Mittagspause.

Ich esse, denke an Mireille und ziehe einen Schuh aus. Lege mich auf das Bänkchen. Außer den vier Österreichern, habe ich auf den 9 Kilometern, die ich auf dem Radweg schon gelaufen bin noch niemanden gesehen. Der Wind rauscht durch die Blätter über mir und ich schlummere doch tatsächlich ein. Keine Ahnung wie lange. Leider werde ich unsanft geweckt, denn ich falle doch tatsächlich von der Bank ins Gras. Abgeschmiert. Hab die Bank mit meinem Boxspringbett daheim verwechselt. War wohl ein bisschen zu schmal, das Bänkchen. Das muss sehr komisch ausgesehen haben und ich brauche kurz, bis ich sortiert bin.

Ich ziehe weiter und kämpfe mich durch die Sonne. Die Beine sind gut, der Rucksack nicht zu schwer, aber es ist einfach zu heiß. Die Sonne verbrennt meine Waden, ich decke sie mit einer Jacke ab. Ich überlege was besser ist, das Wasser auszutrinken oder einzuteilen. Ich trinke es aus. Es kann nicht mehr so weit sein. Endlich kann ich den Radweg verlassen und einen Feldweg laufen. Kein Schatten. Von hinten kommt ein Pärchen flotten Schrittes an mir vorbei. Ich muss so jämmerlich aussehen, dass der Mann mich fragt: „Do you need water?“ Es ist mir ein bisschen peinlich und zeige auf meine Flasche. Er schenkt mir ein kühles Wasser, eine ganze kleine Flasche. Ich trinke sie in einem Zug aus „God bless you“, war ich das? So ein buddhistischer Moment aber auch.

Ich latsche wieder alleine, ein Dorf kommt. Eine Frau mit einem Blumenwagen biegt um die Ecke. Sie dekoriert die vielen Kreuze am Weg mit Blumen und steht mir gerne Modell.

Endlich kommt ein Café. Es sieht geschlossen aus. Der Wirt macht mir die Tür auf, nimmt mir meinen Rucksack ab und stellt mir wortlos ein Wasser hin. Ich bin gleichzeitig völlig im Eimer und im Himmel. Er bringt mir eine Karte des spanischen Teils des Camino Portugues und sagt mir, wie weit ich morgen laufen soll und ich soll am besten gleich reservieren, denn da gibt es nichts. Ich buche schnell noch ein letztes Pensionszimmer. Der Wirt ist verliebt in Pilger. „German?“ , „Yes“, „ I know, you have the yellow Bible“. Er kennt schon die Caminoführer der Nationen. Die ganze Wand in seinem Café ist mit Selfies von Wirt und Pilgern tapeziert. Bald bin ich da auch drauf.

Das Café füllt sich mit Pilgern. Wo kommen die denn plötzlich alle her? Zwei Amerikaner setzen sich neben mich und fragen das Übliche. Woher kommst du? Wohin gehst du? Wieviel bist du heute schon gelaufen? Wo übernachtest du? Steve aus Montana zeigt mir die ersten Schneebilder seiner Heimat. Dort schneit es eben. Stefanie aus Utah kommt eigentlich aus Californien. Die beiden haben sich auf dem Camino Frances vor zwei Jahren getroffen. Steve fragt mich nach meinem Motiv für den Jakobsweg. Er selbst macht es dieses Mal um des Laufens Willen. Vor zwei Jahren war er ein Suchender. Er hatte Fragen und suchte eine Antwort. I was looking for Goodness, and I found it. Ich habe nach Güte gesucht und gefunden. Er hat jeden Herbergsvater genervt, weil er wissen wollte, wie er zu seiner Antwort kommen könnte. Einer sagte ihm folgendes: Der Camino bringt dir die Antworten. Just walk. Gehe einfach, verdammt. Hör auf zu fragen, fahr nicht mit dem Taxi und jammere nicht, lauf einfach und halt die Klappe. Just walk and God will tell you the answer. And, sagt er und strahlt über das ganze Gesicht, God gave me the answer and I found Goodness. Gott gab mir die Anwort und ich fand Güte.

Dońt take a Taxi, lache ich und erzähle ihm meine Geschichte von heute früh. Steve lacht und strahlt: yes, the Camino has that kind of Stories and the Camino doesńt want us to take a Taxi! Der Camino bringt solche Geschichten hervor und er möchte nicht, dass wir Taxi fahren! Wir lachen erstaunt und vereint.

Ich breche auf, mein Hotel ist um die Ecke. Steve und Stefanie laufen noch bis Tui, obwohl sie bereits 30 Kilometer in den Beinen haben. Steve schlendert mit Trekkingsandalen. Der Wirt verabschiedet mich mit Küsschen, umarmt mich, ich soll auf mich aufpassen, buon Camino, ohne Verletzungen und: kümmere dich um dich selbst, denn du bist die wichtigste Person in deinem Leben. Bääm!

Steve grinst und fragt mich, ob er mir meinen Rucksack tragen soll. Ja, sage ich, am besten bis Santiago.

Boa Noite, das letzte mal aus Portugal.

Freundinnen sind wie Google Tag 7

Vila Praia de Ancora am frühen Morgen

Lage

  • Füße: immer noch keine Blasen
  • Pilgeraufkommen: konjunktureinbruch, nur 10 Pilger gesichtet
  • Kalorien: kein Vesper, zerbröselter Amaranthriegel (sicher beim Sturz atomisiert) aus dem Rucksack verhindert das Schlimmste
  • Wetter: heiß, 34 Grad, Sonnenbrand auf den Waden
  • Stimmung: blendend, frisch gewaschener Körper in frischer Wäsche, herrlich

Nach sorgfältiger Risikoabwägung, insbesondere was die potentielle Blasenbildung betrifft, habe ich, die abschätzigen Blicke von Mireille im Hinterkopf, meine Socken durch das Waschbecken gezogen. War das eine braune Brühe, kann ich sagen.

Weil ich schon dran war, habe ich große Wäsche gemacht. Ich hatte zwar ein großes Appartment, aber keine Möglichkeit alles aufzuhängen. Die kleine Küche ist mit einer Mikrowelle ausgestattet. Manche Fragen möchte man nicht googeln.

Mikrowelle – Wäsche – trocknen, z.B. nicht. Wofür hat man denn Freundinnen? Sie sind wie Google, sind immer für einen da und wissen alles. Manchmal besser.

Per WhatsApp habe ich die Frage gestellt und in Echtzeit eine entsetzte Antwort bekommen. Bloß nicht. Brandgefahr. Naja, dachte ich mir fast. Wozu gibt es sonst Trockner. Da könnte man sonst ein Kombigerät haben. Wäre platzsparend. Es folgt der Rat, ich solle den Föhn nehmen. So stehe ich morgens um sechs im Bad und föhne meine Socken.

Im Appartment gibt es kein Frühstück und ich nehme mir vor, erst in Caminha in ein Café zu gehen. Der Weg an der Küste entlang ist wunderschön. Überall sind Hortensienbüsche. Es sieht aus wie in der Bretagne. Ich kann es nicht lassen. Schon wieder trage ich eine Hortensienblüte, eine Lilie und Rosmarin mit mir. Nachdem meine Italienischlehrerin mir nochmal den Unterschied zwischen Blumen und Zweigen erklärt hat, mutiere ich zur Blumenhealingpilgerin.

In Praia de Moledo verabschiede ich mich mit einem schönen Frühstück vom Atlantik. Die weitere Strecke geht am Minho entlang.

Der Berg ist schon in Galizien und, dass ich von oben noch die Aussicht genießen werden, ist im Moment kaum zu glauben.

Ich habe Hunger, denn aus dem Dinner mit Beverly und Hugh wurde gestern Abend nichts. Die beiden haben sich den Magen mit einem Pasteis de Nata verdorben und hängen in den Seilen. Können heute wohl auch nicht weiterpilgern.

Beverly und Hugh sind Mitte/Ende 70 und Caminojünger. Sie kommen aus Sydney und wohnen auf einer Farm am Stadtrand. Die Farm mit den Tieren hatten sie aber nur zum Spaß für ihre fünf Kinder. Seit die Kinder groß sind, wollen sie reisen und keine Tiere mehr versorgen. Sie sind in der Camino Gesellschaft in Sydney aktiv. Vor 15 Jahren sind sie in fünf Wochen den Camino Frances (Keiminou Franscheis) gelaufen. Nun sind sie nach Lissabon geflogen, wollen nach Santiago pilgern, von dort nach Madrid fliegen, von Madrid nach Kroatien, wo sie Freunde besuchen, die sie auf dem Camino getroffen haben. Auf dem Camino findet man Freunde für´s Leben, sagt Beverly. Den Abschluss bildet Rom, wo sie noch einige Wochen bleiben wollen, bevor es wieder zu den Kindern und vielen Enkeln geht. Davor machen Sie noch eine Cruise im Mittelmeer. Amsterdam, Barcelona und wer weiß was noch.

Beverly fragt nach meiner Motivation für den Camino. Sie beide laufen ihn, weil sie fit bleiben wollen. Es hilft nicht nur den Geist fit zu halten, der Körper muss bewegt bleiben und das schmiert das Gehirn.

Hugh fragt mich, ob ich meditiere. Erzählt mir von der Theorie, dass unsere Seele und das Unterbewusstsein von einer externen Quelle gespeist wird. Von wissenschaftlichen Grundlagen. Ich spüre, dass ihn etwas sehr beschäftigt. Er erzählt von einem Meditationscamp, wo er täglich von 4.30 bis 20.30 auf einer Holzbank sitzend meditiert hat. Eine Stunde Meditation, halbe Stunde Pause. Wiederholung.

Er erzählt, dass er aus seinem Körper rausgeschwebt ist und sich in einem historischen Gewand stehen sah. Es gab ein Feuer und viele Menschen einer vergangenen Kultur sind um ihn getanzt. Er ist immer noch erschüttert von dem Erlebnis, er weint und sucht nach Einordnung des Erlebten. Ich erzähle von meinen Chakrameditationen und den Erfahrungen in Sri Lanka.

Beverly unterbricht uns, „he is so emotional about this“ und mahnt zum Aufbruch. Das war gestern. So trennten sich unsere Wege. Die beiden machen einen Tag Pause, können nicht laufen.

In Caminha hole ich mir im Tourist Office einen Stempel und trinke noch einen Café. Es ist schon ziemlich heiß. Der weitere Weg ist nicht sehr schön. Geht an der Nationalstraße entlang und macht echt keinen Spaß. Ich sehe nur wenige Pilger. Beverly schreibt mir, sie sind in Villadesuso. Mit dem Taxi hingefahren, an Horden von Pilgern vorbei. Aha. Da sind sie also. Die meisten setzen mit der Fähre in Caminho über den Minho und laufen an der spanischen Küste weiter. Ich habe mich für den Camino auf portugiesischer Seite am Minho entlang entschlossen. Am Samstag werde ich in Spanien sein.

Doch jetzt muss ich erstmal nach Gondarem, sieben Kilometer liegen noch vor mir. Gestern Abend habe ich noch eine Reservierung in einem Herrenhaus aus dem 17. Jahrhundert gemacht. Es muss einen herrlichen Ausblick über das Flusstal haben. Ich komme ins Grübeln. Ausblick? Ausblick bedeutet Höhe. Wie weit muss ich da hochlaufen?

Ich habe keine Lust mehr. Der Weg ist ätzend, es ist heiß. Ein Taxi kommt mir entgegen. Lässig, im NYC-Style, hebe ich meine Hand und bedeute Mitfahrbereitschaft. Das Taxi biegt tatsächlich ab, leider nur in ein Restaurant zum Mittagessen. Mist.

Ich trotte weiter. Es ist so heiß, ich bin noch frohen Mutes, denke aber, muss denn jeder Tag tatsächlich so kaputt enden. Wieder ein Taxi. Ich winke. Es fährt weiter. Es müssen noch vier Kilometer sein, dann habe ich es geschafft. Noch ein Taxi, ich winke wieder. Es fährt weiter. Dreht aber um und hält neben mir. Mein Herz hüpft. Bei Kilometer 14 steige ich in ein Taxi und lass mich zum Herrenhaus chauffieren. Ich bin einfach nur froh. Es ist brütend warm und ich hätte einen schrecklichen Berg hochlaufen müssen. Wegen der Aussicht. Der Taxifahrer trägt mir meinen Rucksack hinterher und ist verblüfft, wie schwer er ist. Das bin ich auch jeden Tag.

Es ist eine hochherrschaftliche Einfahrt. Hätte blöd ausgesehen, wenn ich da in brütender Hitze angeschlurkt gekommen wäre. Ich muss das morgen alles wieder zurück laufen, denke ich dennoch.

Das Hotel ist wunderschön, die Menschen so unglaublich nett und ich lasse mich frisch geduscht ins Bett fallen und schlafe sofort ein.

Als Pilger hat man ja kein Auto dabei und möchte möglichst wenig Schritte außerhalb des Camino machen. Deshalb buche ich im Hotelrestaurant ein Abendessen. Nach einem entspannenden Nachmittag am Pool, genieße ich die Abendstimmung und sitze mal wieder in einem richtigen Sofa in der Hotellobby. Man ist vornehm im Herrenhaus, es wird zum Essen geklingelt. Gut, dass ich mich schick gemacht habe. Ausgehtreckingsandalen, Blüsecken und Lippenstift. Gut, die Sportleggins und „Handtasche“ passen nicht so ganz ins Bild.

Wir sitzen in einem historischen Raum mit großem Kamin und Azulejos an den Wänden. Außer mir ist noch ein junges Paar mit einem Baby da. Es gibt Gemüsesuppe, Arroz de Mariscos und ein Nachtischbuffet. Dazu trinke ich Vinho Verde. Ich bin ausgehungert und im Glück. Das Baby weint. Es ist zwei Wochen alt, ich frage wie es heißt und bin elektrisiert. Beatrice! Das Baby heißt wie ich. Es ist kein üblicher Name in Portugal. Die Mama geht nach dem Nachtisch mit dem Baby auf´s Zimmer und ich komme mit dem Vater ins Gespräch. Sie sind aus Porto und machen hier ein paar Tage Ferien mit dem Neugeborenen. Als Pilger kommt man mit den Menschen viel intensiver ins Gespräch. Er fragt mich nach meinen Motiven für den Weg nach Santiago. Er denkt darüber nach, den Weg nächstes Jahr mit seinem Bruder zu laufen. Ich empfehle ihm, den Camino alleine zu laufen. Es ist eine sehr intensive Erfahrung alleine, man muss sich zuhören und man kommt viel schneller mit anderen Menschen in Kontakt. Es ist ein tiefschürfendes Gespräch über das Pilgern, das Hamsterrad, unsere Gesellschaft und die Schönheit des Lebens. Er steht auf und geht. Ich denke, was für ein Stoffel, habe ich mich so getäuscht. Er kommt mit einer Visitenkarte zurück. Pedro Silva aus Porto. Er hat mir seine Telefonnummer und Adresse aufgeschrieben. Wenn ich Hilfe brauche oder eine Sorge habe, soll ich nicht zögern ihn anzurufen.

Heute dachte ich der Camino sagt gar nichts. Aber am Abend ist er zur Hochform aufgelaufen.

Boa Noite überm Herrenhaus. Hier werde ich gut schlafen.

Ich konnte es natürlich nicht lassen und habe: Mikrowelle – Wäsche – trocknen, gegoogelt. Bietet sich bei schlechter Laune an. Geschichten gibt es.

Fun Fact of the day

Der Berliner, der in Berlin Pfannkuchen heißt, wird hier als Bolas de Berlim geschätzt und am Strand gegessen.

Kein Sommer ohne Strand und Bolas de Berlim. Mit Apfel-, Schokoladen-, Johannisbrotschoten- oder Eiercreme-Füllung.

  • Berliner
  • Berliner Pfannkuchen
  • Berliner Ballen
  • Berliner Bälle
  • Krapfen
  • Bolos de Berlim

Wie kommt der Berliner an den portugiesischen Strand? Hier ist nicht der Bürger der deutschen Hauptstadt gemeint, der gemeinhin mit dem Flieger oder Auto anreist. Wie kommt dieser Krapfen nach Portugal? Und dann auch noch an den Strand?

In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg flohen zehntausende Juden, Regimegegner, Kommunisten und Intellektuelle vor Hitler nach Portugal.

Die Flüchtlinge durften sich nur in Caldas da Rainha und im mondänen Badeort Ericeira niederlassen. Sie durften keiner geregelten Arbeit nachgehen und bekamen nur eine kleine Unterstützung vom portugiesischen Staat. Und man ahnt es schon. Jetzt kommt der Berliner Ballen ins Spiel.

Die Legende sagt, dass um das Jahr 1937 eine Berliner Jüdin, namens Davidson, in Estoril ihren ersten Krapfen verkaufte. Erst nur an deutsche Flüchtlinge, aber die portugiesischen Schleckermäuler fanden sehr bald auch Geschmack am fettigen Berliner. Die Erdbeermarmalade als Füllung kam aber nicht gut an und wurde mit einer „creme pasteleiro“ ersetzt. Diese Vanille-Eigelb-Füllung ist bis heute die beliebteste geblieben und versüßt jeden portugiesischen Strandtag.

© 2024 Beate Mäusle

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