Autorin

Monat: September 2019 (Seite 9 von 10)

10 Dinge, die der Jakobsweg mich jetzt schon lehrt

  • Man sollte nicht hektisch und schnell durch das Leben rennen. Man verpasst sonst die wichtigen Abzweigungen.
  • Es gibt auch Arschlöcher (habe ich das echt gesagt?) auf dem Jakobsweg. Die Wahrscheinlichkeit, dass darunter ein pensionierter, deutscher Lehrer ist, scheint hoch. Ich habe nichts gegen Lehrer, möchte ich nur mal sagen.
  • Die meisten Menschen, denen man auf dem Jakobsweg begegnet, sind voller Güte und Freundlichkeit. An denen sollte man sich orientieren.
  • Mit einer Goldcard reisen ist deutlich angenehmer, macht aber nicht glücklicher.
  • Viel Gepäck auf den Schultern drückt auf die Füße und in den Boden.
  • Wir Menschen lassen uns von Äußerlichkeiten blenden. Als verschwitzter Pilger in ein vier Sterne Hotel zu laufen, ist ein Abenteuer.
  • Drei Tage hintereinander die gleiche Hose zu tragen, ist gar nicht schlimm.
  • Obacht vor allein pilgernden Pilgern. Ich meine Männliche. Sie haben eindeutige Absichten.
  • Unsere Lebensgeschwindigkeit ist so schnell. Einen Tag bin ich gelascht, was ich mit der Metro in einer Stunde hinter mich gebracht hätte.
  • Jeder Mensch sollte ab und an alleine mit sich sein. Man hört so viel.

22,7 Kilometer mit 9 Kilo Gepäck Tag 2

Lage

  • Füße: pilgernigelnagelneu
  • Pilgeraufkommen: ganz schön viele
  • Kalorien: es ist zu heiß zum Essen
  • Wetter: genau richtig bis zum Mittag, dann große Hitze
  • Stimmung: euphorisch, voller Erwartungen

Als ich am Freitag aus dem Flughafen trat, war da eine Buslinie nach Vigo. Kurz dachte ich, es fährt sofort ein Bus die 120 Kilometer nach Vigo und ich laufe eine Woche am Meer entlang. Soll ich schnell einsteigen?

Aber natürlich bin ich nicht eingestiegen. Mein erster Tag auf dem Camino beginnt nach einer schlechten Nacht. Porto ist eine laute Stadt, sie ist voller Partytouristen und ich habe schlecht geschlafen.

Trotzdem starte ich euphorisch von meinem Hotel du Norte zur Kathedrale. Ich bin so früh, der Nachtportier schläft noch und macht für mich um 6.30 die Tür auf.

Die Kathedrale liegt im schönsten Morgenlicht und als ich auf den Vorplatz laufe, kommt mir ein Penner entgegen, der betrunken wirkt und Lieder singt. Ich wende mich ab und denke, hoffentlich pöbelt der mich nicht an. Stattdessen wünscht er mir einen Buon Camino. Damit hätte ich wahrlich nicht gerechnet.

Ich laufe entlang des Douro in Richtung Atlantik. Etliche Pilger überholen mich. Eine Rennradgruppe mit Männern wirft mir ein fröhliches Buon Camino zu.

Ein spanischer Tourist, der mit dem Nachtzug kam und am Abend mit dem Nachtzug wieder fahren möchte, macht ein Bild von mir. Er drängt sich mir förmlich auf. Als ob jemand sagen möchte: dieser denkwürdige Start eines Weges muss festgehalten werden.

Man braucht hier schon den Mut zur Häßlichkeit. Mit Wanderstiefeln, die am Flughafen geröntgt werden, weil man darin Waffen verstecken könnte, kann man unmöglich elegant aussehen. Kompressionsstrümpfe und der Rucksack kleiden einen auch nicht wirklich gut. Deshalb gibt es auch nur ein Schattenbild.

Der Weg zum Meer und am Meer ist wunderschön. Ich freue mich am Atlantik anzukommen. Vor 30 Jahren waren wir oft in Portugal. Kein Mensch hat hier jemals Sport (außer Wassersport) getrieben. Heute joggen sich die Portugiesen die Seele aus dem Leib.

Es ist so schönes Wetter, ein leichter Wind geht und ich fühle mich stark wie nie. Der Weg geht am Meer entlang und ich kann die Portugiesen bei ihren Samstagvormittagsbeschäftigungen beobachten. In einem Café frühstücke ich und eine Portugiesin erzählt mir in schönstem Deutsch, dass sie oft bei ihrer Tochter in Krefeld ist. Wenn man alleine reist, bekommt man viel schneller Kontakt. Sie fragt mich, ob ich den Camino wirklich alleine machen möchte.

Für alle, die dachten, die spinnt doch, alleine zu laufen, sei gesagt: man ist nicht alleine. Ich wäre es heute gerne gewesen, aber erst kam Eve aus Dublin, dann Alex aus Bremen und zum Schluss Beverly und Hugh aus Australien. Achja, Marita und Jutta aus Wuppertal auch noch. Aber der Reihe nach.

Eve aus Dublin begleitet mich ein Stück. Ich frage sie, wo man denn die schönen Pilgerstempel herbekommt. Kaum habe ich das ausgesprochen, kommt ein Cafébesitzer auf uns zu und bietet mir seinen allerschönsten Stempel an. Der Camino antwortet sofort. Eve ist 30 Jahre jünger als ich und sie hat einen kräftigen Schritt. Irgendwann stößt Alex aus Bremen zu uns, die ständig mit ihren Walkingstöcken in den Zwischenräumen der Bohlen am Strand stecken bleibt.

Bei Kilometer 18 zieht es mir den Stecker, ich falle zurück und bin wirklich richtig kaputt. Eve und Alex ziehen weiter. Ich höre noch eine Weile das Geräusch der Stöcke

Walk with your Heart and embrace your camino

Luis Ferreira

So ein Klugscheißersatz! Ich soll mit dem Herzen laufen? Und den Camino umarmen. Ich kann nicht mehr und denke eigentlich nur noch: ich brauche ein Hotel.

Es gibt keines. Bei Kilometer 22,7 lande ich auf einem Campingplatz und bekomme ein Bett in einem fünfer Bungalow. Für stolze 11 Euro. Als ich zu Beverly und Hugh, Marita und Jutta in den Bungalow komme, sind sie sehr erstaunt, dass ich auch noch hier schlafen soll.

Ich überlege kurz, ob ich zum nahe gelegenen Flughafen mit dem Taxi fahren soll, denn da gibt es sehr schöne Hotels. Aber meine „Alten“ sind so nett und funny, dass ich beschließe dieses Abenteuer mitzunehmen. Wir haben am Ende gemeinsam ein leckeres Pilgermenü für 7,50 Euro gegessen und einen wirklich schönen Abend gehabt.

Beverly fragt uns nach unserem Motiv für den Jakobsweg und daraus ergeben sich schöne Gespräche.

Eines ist mir jedoch völlig schleierhaft. Wie soll ich morgen nur wieder laufen? Ich könnte immer noch zum Flughafen fahren und den Bus nehmen.

Boa Noite erstmal.

Ich habe es tatsächlich getan Tag 1

Lage

  • Füße: erstes Warmlaufen
  • Pilgeraufkommen: erste Annäherung in der Kathedrale
  • Kalorien: himmlisch portugiesisch
  • Wetter: strahlender Sonnenschein extra für mich
  • Stimmung: Gefühl von Freiheit, ich darf ganz bei mir sein

Aus dem Mittwoch ist der Freitag geworden. Am Sonntag habe ich meinen ersten Beitrag geschrieben und meinen Rucksack fertig gepackt. Als er kaum fertig war, kam der Anruf meiner Mutter. Mein Vater ist im Badezimmer tot umgefallen. Unser Vater war sehr krank, aber damit war absolut nicht zu rechnen. Es ist ein Tod, wie er ihn sich gewünscht hat, für uns alle dennoch ein Schock. Gestern war die Beerdigung. Es war eine schöne, große Beisetzung. Das hätte ihm gefallen.

Meine Familie hat mich ermuntert, trotzdem den Camino Portugues zu pilgern. Und so bin ich heute von Stuttgart nach Porto geflogen. Am Flughafen war ich über meinen Mut erstaunt, einfach mit dem Rucksack loszuziehen. Ich sage mir, dass ich jederzeit wieder heimfliegen kann, wenn ich in der schweren Zeit jetzt nicht ohne meine Familie sein kann.

Portugals Pastellerias sind legendär. Auf dem Weg ins Hotel habe ich gleich mal einen Stop eingelegt und meinen Mut gefeiert.

Wenn es überhaupt noch was zu feiern gibt. Im Flieger saß ein junger Mann neben mir, ebenfalls mit dem Pilgerführer ausgestattet. Er „joggt“ den Camino in 9 Tagen! Er ist aus dem Flieger raus und gleich losgelaufen. Pro Tag muss er mindestens 30 Kilometer laufen, denn mehr Zeit hat er nicht. Naja, er ist ja auch 30 Jahre jünger als ich. Das mir zum Trost.

Der Kathedrale habe ich meinen Antrittsbesuch abgestattet, lange im Kirchenschiff gesessen, um meinen Vater geweint und mir meinen ersten Pilgerstempel abgeholt. Mit dem Pilgerausweis ausgerüstet, geht es morgen ab der Kathedrale los. Der Credencial del Peregrino der Catedral de Santiago berechtigt den Pilger in den Pilgerherbergen zu übernachten.

Manchmal zeigt sich der Weg erst, wenn man anfängt ihn zu gehen. Folge dem Ruf des Weges.

Paulo Coelho

Das Abendessen war köstlich. Es gab eine Meeresfrüchtesuppe im Café Majestic in der Rua Santa Caterina. Ich bin da so reingeschlendert und war dann ob der Berühmtheit ganz erstaunt. Es wird unter den Top 10 der schönsten Cafés der Welt gelistet. Joanne K. Rowling hat hier wohl den ersten Band von Harry Potter geschrieben. Das muss auch der Grund sein, weshalb die Salatblätter hier so teuer sind.

Heute habe ich mir Porto erwandert und lächerliche 9,5 Kilometer zurückgelegt, ohne Gepäck wohlgemerkt.

Morgen wird es ernst. Der Rucksack fühlt sich jetzt schon schwer an.

Boa Noite Porto!

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