Beate Mäusle

Autorin

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Langsam wird mir das unheimlich Tag 3

Lage

  • Füße: wie neu, vorerst
  • Pilgeraufkommen: übersichtlich
  • Kalorien: so viel bin ich doch gar nicht gelaufen
  • Temperatur Atlantik: arschkalt
  • Stimmung: auf und ab

Man kann es kaum glauben, aber ich habe in diesem Tiny House in meinem Hochbett, auf einer Plastikmatratze, wunderbar geschlafen. Wir fünf haben uns zum nächtlichen Pinkeln verabredet. Ältere Herrschaften können ja, ohne mindestens einen Toilettengang in der Nacht, nicht mehr durchschlafen. Und wenn ich eines beim Campen nicht leiden kann, dann sind es die, nach dem Gesetz der größten Gemeinheit, weit entfernten sanitären Anlagen. Wir haben uns also zum Pinkeln verabredet, damit die nächtliche Bettruhe für alle nur übersichtlich gestört wird. Die Taschenlampe lag bereit und ich habe das Spektakel verschlafen! Das hätte ich gerne gesehen. Bei der Vorstellung des kollektiven nächtlichen Wasserlassens muss ich jetzt noch lachen. Sie müssen sehr leise gewesen sein, um mich nicht zu wecken.

Ich wache also einigermaßen pünktlich um 5.30 auf. Mein Plan: mich schnell vom Acker machen. Jutta und Marita sind zwei sehr nette Damen ohne Fremdsprachenkenntnisse und haben sich an meine Versen geheftet. Beim Abendessen musste ich alles übersetzen, an der Rezeption für sie nach dem Weg zum klassischen Jakobsweg im Landesinneren fragen und die Bestellung aufgeben. Mein Plan geht nicht auf, die zwei entwickeln eine enorme Geschwindigkeit beim Packen, sie sind so übereifrig, dass sie sogar meinen Caminoführer einpacken. Nach einem herzlichen Abschied von unseren Australiern, wackeln wir gemeinsam los und ich überlege, wie ich das regle, dass ich nicht zum Wander- und Reiseführer der beiden mutiere. Mir ist es nach alleine sein. Gedanken sortieren. Ich navigiere zum Jakobweg und wir laufen in der Morgendämmerung am Meer. Der Camino hat für meine Gedanken wieder eine Antwort. Ich bin den beiden zu langsam und sie verabschieden sich, weil sie vorlegen wollen. Gestern schon sind sie an mir vorbeigezogen, Jutta hat dann Kreislaufprobleme bekommen und Marita ist auf ihr Knie gefallen und ich war letztendlich vor ihnen auf dem Campingplatz.

So habe ich den Morgen für mich alleine. Der Küstenabschnitt von Praia de Angeiras nach Vila do Conde ist unbeschreiblich schön, es erinnert mich an Sylt.

Vila Cha ist ein kleines wunderschönes Fischerdorf, da hätte ich gestern gerne den Abend verbracht und übernachtet. Warum ist es so schön? Weil es da keine Bettenburgen, sondern noch Fischer gibt. Got it?

Vor Vila do Conde sehe ich den Abzweig zum klassischen Camino nach Rates und bin in Gedanken bei Jutta und Marita. Hier trennen sich unsere Wege endgültig. Ich schaue, rieche, höre und sehe. Bin dabei so langsam, dass mich sogar Beverly und Hugh überholen. Naja, die haben ja auch nur eine Flasche Wasser im Rucksack, tröste ich mich. Sie nutzen einen Gepäckservice.

Bei Kilometer zehn ist es bereits zehn Uhr, Zeit für ein Frühstück. Am Meer findet sich ein schönes Café, das ich anvisiere. Ich traue meinen Augen nicht, Jutta und Marita sitzen auf der Terasse und trinken Kaffee. Abzweig verpasst. So ist das, wenn man hektisch den Camino rennt. Man verpasst die wichtigen Weggabelungen.

In Vila do Conde sitze ich in einer Kirche und denke an meinen Vater. Zuhause ist die Familie auch in der Kirche versammelt. Es ist Tradition, dass am Sonntag, der auf die Beerdigung folgt, die Verstorbenen nochmal geehrt werden.

Vila do Conde

Ich schleiche den Wegweisern zum Camino nach. Von hinten höre ich eine Gruppe Deutscher laut palavernd näher kommen. Plötzlich ist ein Pilger auf meiner Höhe, als erstes sticht sein Bauch mir ins Auge. Er fragt mich: „Na, wie geht es? Was machen die Füße?“ „Geht so“, sage ich, es ist inzwischen 11 Uhr und ich habe immer noch nichts gefrühstückt. „Wie lange bist du schon unterwegs?“ fragt er überheblich. „Erst seit gestern“ meine Antwort. „Wir auch“, poltert er, „streng dich halt mal ein bisschen an……“ Die restlichen Worte vermengen sich zu einem Wortbrei. Was bildet dieser Mensch sich ein? Kennt mich überhaupt nicht und haut gleich mal so eine Belehrung raus. Sind ja auch Lehrer, sie haben sich lauthals über ihre Schüler unterhalten. Ich sage einfach nur Tschüss, biege ab ins nächste Café und dieser Trottel folgt mir auch noch, bis ihn die seinen auf den richtigen Weg zurückpfeifen.

Gestärkt gehe ich weiter, bin gedanklich aber noch beim unverschämten Lehrer. In Povoa do Varzim parkt eine Frau mittleren Alters an der Straße ein und bedeutet mir, anzuhalten und zu warten. Sie nestelt in ihrem Kofferraum herum und drückt mir eine Tüte mit Yoghurt, Bananen und einem süßen Teilchen in die Hand, wünscht der verdutzten und gerührten Pilgerin einen Buon Camino und freut sich. Es ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, der entzückenden Portugiesin einen Vortrag über die richtige Ernährung nach Krebs zu halten, so von wegen, wenig Weißmehl und Zucker, es ist mir auch völlig egal. Ich freue mich einfach und bin total gerührt. Küsschen rechts, Küsschen links, muito obridada, que linda und ich laufe verdutzt weiter.

Bei der Analyse des Vorfalls, wird es mir langsam unheimlich. Ich frage und der Camino antwortet. Noch ganz der blöden deutsch-deutschen Begegnung nachhängend, kommt schon die Anwort. Ja, es gibt solche Deppen, aber schau wieviel gütige, freundliche Menschen auf deinem Weg sind. Orientiere dich an ihnen!

In Povoa da Varzim suche ich mir ein schönes vier Sterne Hotel am Meer mit Pool aus. Ich gönne mir ein Zimmer mit Meerblick. Als verschwitzter Pilger in ein Hotelfoyer einzulaufen, hat schon was.

Entspannt schwimme ich im Pool, sitze am Meer und esse mein Pilgervesper und beschließe den Tag mit einem Drink, der soviel kostet, wie gestern das Pilgermenü auf dem Campingplatz.

Boa noite.

10 Dinge, die der Jakobsweg mich jetzt schon lehrt

  • Man sollte nicht hektisch und schnell durch das Leben rennen. Man verpasst sonst die wichtigen Abzweigungen.
  • Es gibt auch Arschlöcher (habe ich das echt gesagt?) auf dem Jakobsweg. Die Wahrscheinlichkeit, dass darunter ein pensionierter, deutscher Lehrer ist, scheint hoch. Ich habe nichts gegen Lehrer, möchte ich nur mal sagen.
  • Die meisten Menschen, denen man auf dem Jakobsweg begegnet, sind voller Güte und Freundlichkeit. An denen sollte man sich orientieren.
  • Mit einer Goldcard reisen ist deutlich angenehmer, macht aber nicht glücklicher.
  • Viel Gepäck auf den Schultern drückt auf die Füße und in den Boden.
  • Wir Menschen lassen uns von Äußerlichkeiten blenden. Als verschwitzter Pilger in ein vier Sterne Hotel zu laufen, ist ein Abenteuer.
  • Drei Tage hintereinander die gleiche Hose zu tragen, ist gar nicht schlimm.
  • Obacht vor allein pilgernden Pilgern. Ich meine Männliche. Sie haben eindeutige Absichten.
  • Unsere Lebensgeschwindigkeit ist so schnell. Einen Tag bin ich gelascht, was ich mit der Metro in einer Stunde hinter mich gebracht hätte.
  • Jeder Mensch sollte ab und an alleine mit sich sein. Man hört so viel.

22,7 Kilometer mit 9 Kilo Gepäck Tag 2

Lage

  • Füße: pilgernigelnagelneu
  • Pilgeraufkommen: ganz schön viele
  • Kalorien: es ist zu heiß zum Essen
  • Wetter: genau richtig bis zum Mittag, dann große Hitze
  • Stimmung: euphorisch, voller Erwartungen

Als ich am Freitag aus dem Flughafen trat, war da eine Buslinie nach Vigo. Kurz dachte ich, es fährt sofort ein Bus die 120 Kilometer nach Vigo und ich laufe eine Woche am Meer entlang. Soll ich schnell einsteigen?

Aber natürlich bin ich nicht eingestiegen. Mein erster Tag auf dem Camino beginnt nach einer schlechten Nacht. Porto ist eine laute Stadt, sie ist voller Partytouristen und ich habe schlecht geschlafen.

Trotzdem starte ich euphorisch von meinem Hotel du Norte zur Kathedrale. Ich bin so früh, der Nachtportier schläft noch und macht für mich um 6.30 die Tür auf.

Die Kathedrale liegt im schönsten Morgenlicht und als ich auf den Vorplatz laufe, kommt mir ein Penner entgegen, der betrunken wirkt und Lieder singt. Ich wende mich ab und denke, hoffentlich pöbelt der mich nicht an. Stattdessen wünscht er mir einen Buon Camino. Damit hätte ich wahrlich nicht gerechnet.

Ich laufe entlang des Douro in Richtung Atlantik. Etliche Pilger überholen mich. Eine Rennradgruppe mit Männern wirft mir ein fröhliches Buon Camino zu.

Ein spanischer Tourist, der mit dem Nachtzug kam und am Abend mit dem Nachtzug wieder fahren möchte, macht ein Bild von mir. Er drängt sich mir förmlich auf. Als ob jemand sagen möchte: dieser denkwürdige Start eines Weges muss festgehalten werden.

Man braucht hier schon den Mut zur Häßlichkeit. Mit Wanderstiefeln, die am Flughafen geröntgt werden, weil man darin Waffen verstecken könnte, kann man unmöglich elegant aussehen. Kompressionsstrümpfe und der Rucksack kleiden einen auch nicht wirklich gut. Deshalb gibt es auch nur ein Schattenbild.

Der Weg zum Meer und am Meer ist wunderschön. Ich freue mich am Atlantik anzukommen. Vor 30 Jahren waren wir oft in Portugal. Kein Mensch hat hier jemals Sport (außer Wassersport) getrieben. Heute joggen sich die Portugiesen die Seele aus dem Leib.

Es ist so schönes Wetter, ein leichter Wind geht und ich fühle mich stark wie nie. Der Weg geht am Meer entlang und ich kann die Portugiesen bei ihren Samstagvormittagsbeschäftigungen beobachten. In einem Café frühstücke ich und eine Portugiesin erzählt mir in schönstem Deutsch, dass sie oft bei ihrer Tochter in Krefeld ist. Wenn man alleine reist, bekommt man viel schneller Kontakt. Sie fragt mich, ob ich den Camino wirklich alleine machen möchte.

Für alle, die dachten, die spinnt doch, alleine zu laufen, sei gesagt: man ist nicht alleine. Ich wäre es heute gerne gewesen, aber erst kam Eve aus Dublin, dann Alex aus Bremen und zum Schluss Beverly und Hugh aus Australien. Achja, Marita und Jutta aus Wuppertal auch noch. Aber der Reihe nach.

Eve aus Dublin begleitet mich ein Stück. Ich frage sie, wo man denn die schönen Pilgerstempel herbekommt. Kaum habe ich das ausgesprochen, kommt ein Cafébesitzer auf uns zu und bietet mir seinen allerschönsten Stempel an. Der Camino antwortet sofort. Eve ist 30 Jahre jünger als ich und sie hat einen kräftigen Schritt. Irgendwann stößt Alex aus Bremen zu uns, die ständig mit ihren Walkingstöcken in den Zwischenräumen der Bohlen am Strand stecken bleibt.

Bei Kilometer 18 zieht es mir den Stecker, ich falle zurück und bin wirklich richtig kaputt. Eve und Alex ziehen weiter. Ich höre noch eine Weile das Geräusch der Stöcke

Walk with your Heart and embrace your camino

Luis Ferreira

So ein Klugscheißersatz! Ich soll mit dem Herzen laufen? Und den Camino umarmen. Ich kann nicht mehr und denke eigentlich nur noch: ich brauche ein Hotel.

Es gibt keines. Bei Kilometer 22,7 lande ich auf einem Campingplatz und bekomme ein Bett in einem fünfer Bungalow. Für stolze 11 Euro. Als ich zu Beverly und Hugh, Marita und Jutta in den Bungalow komme, sind sie sehr erstaunt, dass ich auch noch hier schlafen soll.

Ich überlege kurz, ob ich zum nahe gelegenen Flughafen mit dem Taxi fahren soll, denn da gibt es sehr schöne Hotels. Aber meine „Alten“ sind so nett und funny, dass ich beschließe dieses Abenteuer mitzunehmen. Wir haben am Ende gemeinsam ein leckeres Pilgermenü für 7,50 Euro gegessen und einen wirklich schönen Abend gehabt.

Beverly fragt uns nach unserem Motiv für den Jakobsweg und daraus ergeben sich schöne Gespräche.

Eines ist mir jedoch völlig schleierhaft. Wie soll ich morgen nur wieder laufen? Ich könnte immer noch zum Flughafen fahren und den Bus nehmen.

Boa Noite erstmal.

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