Autorin

Olavsweg trifft Jakobsweg Tag 12

Beverly und Hugh aus Sydney

Lage

  • Füße: blasenfrei, aber müde
  • Pilgeraufkommen: nur noch 48 Kilometer bis Santiago, Pilgerdichte steigend
  • Kalorien: warte sehnlichst auf das Abendessen
  • Wetter: bewölkt, sonnig, heiß, Regen
  • Stimmung: Respekt vor der großen Etappe

Nach meiner Mittagsruhe, bin ich gestern durch die Stadt geschlendert, als mich eine Nachricht von Beverly erreicht. Beverly und Hugh, mit denen ich die erste Nacht im Campingbungalow verbracht habe.

Sie sind auch in Pontevedra! Es ist eine sehr schöne historische Stadt mit viel Leben. Geschäfte, Bars, Restaurants, Eisdielen, eine Pilgerkirche und viel Geschichte. Mein Hotel liegt in der Altstadt und ich komme mir vor, als ob ich wieder in der Zivilisation angekommen bin. Menschen ohne Wanderstiefel und Rucksäcke. Ich gehe durch die Straßen und schaue die Geschäfte und die schönen Galizierinnen in ihren tollen Outfits an. Pilger, out of Duty, erkennt man an den Trekkingsandalen, Leggings und Funktionskleidung. Ich schaue mir das kommerzielle Treiben wie ein Museum an, ich bin nicht von dieser Welt.

Morgen habe ich eine große Etappe vor mir und brauche noch Proviant. In einer Bäckerei kaufe ich Empanadas. Als ich das Geschäft verlasse, habe ich ein Stück Empanada a Bacalhau in der Tasche. Wie blöd ist denn das? Fisch zum Frühstück?

Ich treffe Beverly und Hugh vor der Pilgerkirche, die Freude ist groß und wir gehen zusammen essen. Sofort dreht sich wieder alles um den Camino, sie erzählen mir von ihrem Camino Frances und wie sie geweint haben, als sie nach 800 Kilometern und fünfeinhalb Wochen, in Santiago angekommen sind. Wenn alles gut läuft, werde ich ab Freitag in Santiago sein. Ich bin sehr gespannt, ob das auch ein Pilgererlebnis für mich wird. Bev und Hugh werden auch ab Freitag in Santiago sein. Wie unglaublich, wir sind gemeinsam gestartet und werden zur gleichen Zeit ankommen, obwohl wir unterschiedliche Routen gewählt haben. Mal sehen, wen ich in Santiago noch treffe.

Ich wache früh auf und buche als erstes ein Hotel in Santiago, denn die Stadt wird voll sein. Das Risiko, zum Abschluss noch in einem Schlafsaal zu landen, ist mir zu groß. Auf der einen Seite, auf der anderen Seite fehlt mir die Pilgererfahrung des Schlafsaals.

Um sieben bin ich reisefertig und suche den Einstieg in den Camino. Ich denke, es hat geregnet, aber es war nur die Stadtreinigung, die feucht aufwischt. Es ist gar nicht so einfach in der Dunkelheit die gelben Pfeile zu finden. Es sind schon wieder etliche Pilger unterwegs. Aus einer Stadt rauszulaufen, finde ich eine tolle Erfahrung, üblicherweise fährt man ja.

Ich laufe durch einen Park, alles ist dunkel, vor mir Pilger. Als ich gerade denke, wenn ich eine ängstliche Person wäre, hätte ich jetzt richtig Angst, springt mir ein Teufelchen an der Mauer ins Auge und ich erschrecke mich richtig. Ich muss lachen. Man sieht immer das, was man sehen möchte.

Eine Gruppe Spanier betreibt Intervalltraining und sprintet die Wege entlang. An einer Weggabelung steht eine Gruppe Pilger, einer mit Stirnlampe, sie diskutieren, ob hier der Abzweig zum spirituellen Camino abgeht. Geht er nicht, ich kann mit meinem Führer und meiner Karte aushelfen. Wir laufen gemeinsam weiter, es ist eine interessante Gruppe. Zwei junge Brasilianerinnen, Lee aus Porto, Peter aus England und Kathrin aus Stockholm. Sie laufen lose zusammen. Kathrin fragt mich aus. Sie ist 69 Jahre als und es ist bereits ihr vierter oder fünfter Camino. Profiliga also. Den Olavsweg, berühmter norwegischer Pilgerweg von Oslo nach Trondheim, hat sie natürlich auch schon hinter sich. Sei aber nicht zu empfehlen. Die Caminos wären viel schöner. Der Olavsweg geht durch den norwegischen Wald, man würde tagelang niemanden sehen. „Oh, have you been scared?“, frage ich. Sie schaut mich erstaunt an, schüttelt mit dem Kopf und sagt völlig ohne Verständnis für meine Frage, „No, I am not scared!“. Das nehme ich dieser entschlossenen, kleinen und zarten Person sofort ab. Es wäre mit der Versorgung schwierig und auch mit der Übernachtung. Man könnte nur sehr teuer in privaten Unterkünften schlafen und müsste die schon tagelang vorausbuchen. Sie hätte immer ihrer Familie durchgegeben, wo sie gerade sei. Gut, sage ich, dann hat sich das für mich mit dem Olavsweg auch erledigt. Tagelang alleine durch den Wald zu streifen, ist trotz aller Abenteuerlust dann doch nichts für mich.

Lee ist ein junger Engländer aus Dover, der in Porto lebt und Peter ein englischer Priester in Pension. Die Gruppe trennt sich herzlich an der Weggabelung zum spirituellen Weg.

Die Stecke geht mir heute gut von den Füßen. Das mag auch an Lee liegen. Wir laufen zusammen weiter. Er möchte direkt nach Santiago, nicht irgendwelche Umwege. Da sind wir uns einig.

Lee kommt ursprünglich aus Dover, lebt seit drei Jahren in Porto. Er arbeitet online und das kann er von überall aus machen. Was er denn mache? Ich denke, an einen IT-Freelancer, die ab und zu auch für uns in der Bank arbeiten. Gambling Sports. Wie? Sportwetten. Davon kann man leben? Ja, sehr gut sogar. Er weiß zwar nicht, wieviel am Ende des Monats reinkommt, hauptsächlich Football, aber auch Rugby oder Pferdewetten. Läuft wohl nicht so schlecht, denn er hat sich in Porto ein Haus gekauft, das momentan noch gebaut wird und er hoffentlich bald beziehen kann.

Er fragt mich nach meiner Motivation für den Camino. Für mich ist es sehr befreiend, meinen durchgetakteten Alltag hinter mir zu lassen und einfach in den Tag reinzulaufen. Weniger Struktur. Er wiederum freut sich über mehr Struktur und nimmt sich vor, daheim früher aufzustehen. Mehr Stuktur? Ja, er laufe früh los, gehe dann in die Herberge, Abendessen, um 10 Uhr geht das Licht aus und es wird geschlafen. Wie beim Militär, das gefalle ihm.

Ich muss so hart lachen. Es ist, wie bei allem im Leben, eine Frage des Standpunktes. So auch mit der Struktur. Er suche auch die Stille. Weg vom Handy.

Er könne zwar arbeiten, von wo er möchte und wieviel er möchte, er kann alles selbst bestimmen, aber er hängt immer am Handy und Laptop. Ist das Arbeit?

Lee ist ein feinfühliger und sehr intelligenter Mensch, er scheint im Reinen mit sich zu sein. Er sagt von sich selbst, er sei „youngish „, er ist auch schon 36 Jahre. Er reist viel, übt Yoga und meditiert. Er fragt, ob ich schon Yoga- oder Meditations-Retreats gemacht habe und ob man da ähnliche Wirkungen wie beim Laufen erzielen kann? Laufen ist Meditation und er hätte schon einige Erkenntnisse über sich und sein Leben und Fragen beantworten können.

Wenn man zu schnell laufe, würde auch das Gehirn heißlaufen, ist seine Theorie, als wir darüber sinnieren, warum hier so viele, fast schon nach Santiago rennen.

Das passt ja zu Mariesus Theorie, die vorhergesagt hat, dass ich einen völlig neuen Pilgerstil entwickeln würde. Slow Pilgrimage, praktisch. Qualitätspilgern. Mit Blumen, Blick für die Schönheit der Welt und den Menschen. Im Hier und Jetzt, nicht nur auf das Ziel gelenkt. Der Weg ist das Ziel und nicht die Anzahl der Stempel im Pilgerausweis.

Igendwann bin ich ihm doch zu langsam und er läuft vor. Wir verabreden uns auf ein Bier ( ja, ich verabrede mich auf ein Bier) in Caldas de Reis. Buon Camino, Lee.

Ich mache Pause und esse voller Genuß eine Empanada Bacalhau zum Frühstück, es ist ja auch schon elf.

Ich brauche nochmal eine Pause und trinke im Café Oasis einen Café con Leche, als eine aufgeregte Freiburgerin hereinstürmt. Ob sie mal telefonieren könnte? Es versteht leider keiner Deutsch, ob sie ein Taxi brauche? Sie müsse mit Pierre telefonieren und ihm den Standort durchgeben, hat aber keine SIM-Karte und der würde sie nicht finden. Portugiesen bieten sich zur Übersetzung an. Es ist ein Durcheinander. Keiner weiß, was die aufgebrachte Deutsche möchte. Ich gebe ihr mein Handy und sie ruft Pierre an. Pierre ist, man vermutet es, aus Frankreich und spricht nur Französisch. Astrid nur wenig englisch. Sie ist Anfang Mai, frisch pensioniert, mit ihrem Fahrrad losgefahren und hat heute die 5000 Kilometermarke geknackt.

So sieht ein Fahrrad aus, mit dem man 5000 Kilometer quer durch Europa fahren kann

Astrid und Pierre haben sich auf dem Camino Frances kennengelernt und sich verliebt, sagt sie mir. Sie ist erst nach Portugal gefahren und hat dann erstmal vier Wochen Urlaub gemacht. Und jetzt machst du keinen mehr, frage ich sie. Sie muss selbst lachen. Camino ist kein Urlaub also.

Die beiden können sich nicht verständigen und verabreden und zack, bin ich schon in deren amouröses Abenteuer verwickelt. Ich krame einige Wörter Französisch hervor und gebe ihm den Standort durch. Astrid bedankt sich hundert mal. Buon Camino Astrid e Pierre.

Es wird wieder heiß, aber ich schaffe die lange Etappe mit 22 Kilometer gut und lege mich sofort an und in den Pool. Die letzte große Etappe ist geschafft. Ich bin jetzt eingelaufen.

Buenas Noches da Caldera de Reis.

2 Kommentare

  1. Rainer

    Was sagt mir der Camino aus der Ferne? Sportwetten? Job kündigen? Reich werden?
    Ich werde bis zu deiner Rückkehr darüber nachdenken😀
    Wieder so eine überraschende kleine Geschichte auf deinem Jakobsweg 👍
    Buon Camino

Schreibe einen Kommentar

© 2024 Beate Mäusle

Theme von Anders NorénHoch ↑

WordPress Cookie Plugin von Real Cookie Banner