Beate Mäusle

Autorin

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Fun Fact of the day

Der Berliner, der in Berlin Pfannkuchen heißt, wird hier als Bolas de Berlim geschätzt und am Strand gegessen.

Kein Sommer ohne Strand und Bolas de Berlim. Mit Apfel-, Schokoladen-, Johannisbrotschoten- oder Eiercreme-Füllung.

  • Berliner
  • Berliner Pfannkuchen
  • Berliner Ballen
  • Berliner Bälle
  • Krapfen
  • Bolos de Berlim

Wie kommt der Berliner an den portugiesischen Strand? Hier ist nicht der Bürger der deutschen Hauptstadt gemeint, der gemeinhin mit dem Flieger oder Auto anreist. Wie kommt dieser Krapfen nach Portugal? Und dann auch noch an den Strand?

In der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg flohen zehntausende Juden, Regimegegner, Kommunisten und Intellektuelle vor Hitler nach Portugal.

Die Flüchtlinge durften sich nur in Caldas da Rainha und im mondänen Badeort Ericeira niederlassen. Sie durften keiner geregelten Arbeit nachgehen und bekamen nur eine kleine Unterstützung vom portugiesischen Staat. Und man ahnt es schon. Jetzt kommt der Berliner Ballen ins Spiel.

Die Legende sagt, dass um das Jahr 1937 eine Berliner Jüdin, namens Davidson, in Estoril ihren ersten Krapfen verkaufte. Erst nur an deutsche Flüchtlinge, aber die portugiesischen Schleckermäuler fanden sehr bald auch Geschmack am fettigen Berliner. Die Erdbeermarmalade als Füllung kam aber nicht gut an und wurde mit einer „creme pasteleiro“ ersetzt. Diese Vanille-Eigelb-Füllung ist bis heute die beliebteste geblieben und versüßt jeden portugiesischen Strandtag.

Where have all the Pilgrims gone? Tag 6

Lage

  • Füße: ich hätte niemals gedacht, dass die nochmal zu benutzen sind
  • Pilgeraufkommen: sehr niedrig, wo sind die alle? Bin ich auf dem falschen Weg?
  • Kalorien: kanadische, Pilger laden mich zur Rast ein, jedoch Gesundheitsfreaks
  • Wetter: sonnig, warm, windig
  • Stimmung: irgendwie pervers, ich freue mich auf das Laufen

Das Problem beim Pilgern ist ja, dass man kein Auto dabei hat. Gestern Abend musste ich noch vom Restaurant ins Hotel laufen, ich hätte nicht gedacht, dass das noch möglich ist. Mein Zimmer war mit Blick auf die Ponte Eiffel, ich hatte also mein Martyrium direkt vor den Augen. Unter der Brücke sind Tennisplätze, wo noch bis 12 Uhr nachts gespielt wurde.

Blick aus dem Hotel

Beim Frühstück treffe ich wieder Beverly und Hugh. Wir haben wieder zufällig (es gibt keine Zufälle auf dem Camino) dasselbe Hotel gebucht. Beverly ist nicht gut drauf. Ihre Füße sind einen einzige große Blase. Sie hat alle Blasenpflaster verheizt, die sie dabei hatte.

Ich erzähle ihr von meiner Hirschtalgsalbe und meinen Socken. Es ist unglaublich, dass ich noch keine Blase habe. Wenn du nicht weißt, was du mit einem Pilger reden sollst, Füße gehen immer. Gerne.

Wir tauschen endlich Telefonnummern aus, hätten wir sie vorher schon gehabt, hätten wir gemeinsam ein Appartment für heute Abend gebucht. Wie es der Zufall (?) will, haben wir beide in Vila Praia de Ancora, nicht weit auseinander, eine Unterkunft für heute Abend gebucht. Das ist das Tagesziel. Heute sind es nur 18 Kilometer. Dass ich dafür überhaupt die Wanderstiefel anziehe und den Rucksack schultere. Am Ende sind es wieder 22 Kilometer, weil ich mich a) nicht gleich für den Weg entscheiden kann und b) unorientiert durch Viana trabe. Gut, dass ich das noch nicht weiß.

Ich freue mich, als ich loslaufe, bin frisch und es tut tatsächlich nichts weh. Die Finger sind ein bisschen verstaucht, aber die brauche ich heute ja nicht.

Ich irre durch Viana, ehe ich mich der Lektüre des Caminoführers hingebe. Hätte ich das nur gestern gemacht, es gibt drei Varianten für den Camino. Ich entscheide mich für den Weg durch die Wälder und finde tatsächlich den Aufstieg dazu. Die werden mich doch hoffentlich nicht zu der Kirche Santa Luzia hochschicken?

Als ich in eine schmale Gasse bergauf einbiegen möchte, spricht mich ein Portugiese an. Ob ich nach Santiago möchte? Ich soll nicht da hoch gehen, viel zuviel bergauf und bergab, ich soll am Meer gehen. Da sei es eben und viel schöner. Na super. Jetzt habe ich endlich den versteckten Weg gefunden und soll nun wieder runter ans Meer?

Ich höre ja. Ich mache, was man mir sagt und navigiere zum Meer und ich werde belohnt. Es gibt Schwimmbecken im Meer, wie ich das schon auf Bildern in Sydney gesehen habe. Bis jetzt habe ich lediglich eine Pilgerin aus der Ferne gesehen. Wo sind die denn alle? Ich vermisse sie. Es fehlt das Gefühl, in die richtige Richtung zu gehen und ich kann nicht einfach hinterherlaufen. Egal die Richtung stimmt. Das Meer ist links von mir, daran kann ich mich orientieren. Ganz einfach ist das.

Ich komme an einem Steinablageplatz vorbei und da ist sie! Eine Pilgerin. Sitzt ruhig da, hat die Schuhe ausgezogen und träumt vor sich hin.

Darf ich vorstellen? Mireille aus Quebec. Ethnologin, tätig im Gesundheitsbereich, „I also worked in the fields „ im Auftrag von französischen Universitäten. Sie hat viele Aids-Projekte geleitet. Ihr letzter Einsatz war in Bamako in Mali. Nun ist sie pensioniert und hat sich einen Flug nach Lissabon gebucht. Sie möchte nach Santiago spazieren. Ich habe tatsächlich jemand getroffen, der noch langsamer läuft als ich. Danach fliegt sie nach Rom, wo sie mindestens vier Wochen bleiben möchte. Sie hat noch keine weiteren Tickets gebucht.

Wir trinken gemeinsam einen Café und essen ein Pastel de Bacalhau und überlegen welche Route wir gehen wollen. Ich lade sie zum Café ein und sie freut sich. Sie hat sich ein Leben lang um Menschen in schlimmsten Bedingungen gekümmert, jetzt ist sie dran. Es ist ihr erster Tag auf dem Camino, sie möchte es langsam angehen lassen. Ihre Füssetheorie sieht vor, dass sie jede Stunde ihre Schuhe auszieht und die Socken regelmäßig wechselt. Wenn die Füße in den Wanderschuhen vor sich hin feuchten, sei das gar nicht gut. Gar nicht gut. Blasen gibt das. Ich erzähle ihr meine rustikale Theorie: morgens die Füße mit Hirschtalgcreme ordentlich eincremen, immer die gleichen Socken an und bloß tagsüber die Schuhe nicht ausziehen. Mireille ist sprachlos, schaut immer wieder meine Füße an und schüttelt mit dem Kopf „you didńt change your socks“? So bin ich bereits (!!) 110 Kilometer blasenfrei gelaufen.

Wir suchen den Übergang vom Meerweg zum richtigen Camino. Zwei Frauen, zwei Caminoführer, zweimal Google Maps. Wir sind so ins Gespräch über Religionen vertieft, dass wir gar nicht merken, dass wir an der Nationalstraße entlanglaufen. Ich wäre gerne gläubig, leider steht mir mein Verstand im Weg. Sie hat sich ein Leben lang um hilfsbedürftige Menschen in Afrika gekümmert und glaubt nicht an die Religionen. Bevor wir das weiter vertiefen, kümmern wir uns erstmal um den Weg. In Paco finden wir den Anschluss. Mireille muss nur noch nach Afife. Sie ist aber mit dem Weg nicht einverstanden und wir verabschieden uns herzlich. Buon Camino Mireille. Ich glaube, ich war ihr zu schnell. Ich. War. Zu. Schnell.

Nun bin ich wieder Einzelpilger. Keiner weit und breit. Es gibt genügend Wegweiser, ich bin also richtig. Der Weg führt durch die schönsten Eukalyptuswälder. Ich pflücke mir zwei Zweige. Meine Italienischlehrerin schreibt mir, dass ich nicht crazy bin, Blumen herumzuschleppen. Sie wirken heilend. Nicht aber die Zweige. Meine Arme werden von Mücken zerstochen, die Mücken lieben den Duft von Eukalyptus, wie ich auch. Von wegen healing.

Der Weg erinnert an Walweege in Südtirol. Es ist das ländliche Nordportugal. An einem Haus bellen zwei große Hunde und ich bleibe ängstlich stehen. Sie rennen auf mich zu. Ich sehe nicht, dass sie hinter einem Zaun sind. Ein Vater mit seinem Sohn kommt auf mich zu und ich frage ihn in feinstem Portugiesisch, ob der Tee auch wirklich nichts macht. Chá heißt auf portugiesisch Tee und ich habe es mit dem französischen Chien, der Hund, verwechselt. Die beiden lachen bis ihnen die Tränen kommen.

Ich bin immer noch der einzige Pilger weit und breit. An einem Haus stehen Pfirsiche und Äpfel zum Mitnehmen für Pilger bereit. Drei Frauen essen gemeinsam zu Mittag. Ich soll soviel nehmen wie ich will. Sie hätten auch eine Toilette. Die junge Frau am Tisch hat den Camino letztes Jahr gepilgert, sie wisse, was das bedeutet. Ich bin gerührt und hungrig und verhafte sofort einen biologischen Apfel und einen Pfirsich.

Schon wieder geht es bergauf. Eine Japanerin kommt auf mich zugerannt, wie auf der Flucht. Ich frage, ob das der falsche Weg ist. No, no, light wlay, light wlay, I just töln wlay. Aha. Ich glaube sie muss aufs Klo.

Es ist schon wieder Nachmittags um drei. Mein Plan geht nicht auf, ich wollte doch bereits am Meer liegen, wozu habe ich sonst ein Appartment für mich alleine direkt am Strand gebucht?

Ich bin etwas geknickt, weil ich denke, dass ich so ende wie gestern und schon kommt die Wende. Ich laufe einen schönen Weg an Reben vorbei bergab und da sitzt eine Gruppe Pilger. Sie laden mich zur Rast ein und ich setze mich gerne dazu. Und woher kommen Sie? Aus Quebec. Es ist der Tag der Kanadier.

Gestärkt an Geist und Körper gehe ich meine letzten Kilometer und finde mich an einem atemberaubend schönen Strand wieder.

Boa Noite.

We can be heros for just one day

Mein Sturz an Tag fünf war auch wieder so ein Camino Hokuspokus. Es war bisher mein härtester Tag. Ich war so kaputt, dass ich ein Stück mit dem Bus fahren wollte. Die Verbindung war so schlecht, dass erst abends wieder ein Bus gefahren wäre. Also bin ich weitergelaufen. Es blieb mir nichts übrig.

Der Weg war sehr bergig, es war warm und ich hatte einfach keine Kraft mehr. Ich bin einen steinigen und sandigen Weg steil abwärts gelaufen und habe mich wohl kurz nicht konzentriert. Bei Kilometer 20,8 bin ich ausgerutscht. Ich bin auf die Hand, den Ellbogen und die Hüfte gefallen. Der Rucksack hat mich aufgefangen. Sein Gewicht hat mich nach hinten geworfen und so lag ich kafkaesk auf dem Rücken. Der Pilgermaikäfer im Staub. Ich wäre am liebsten liegen geblieben. Irgendwann wäre jemand vorbeigekommen und hätte mich zugedeckt. Keinen Schritt mehr laufen müssen.

Von oben kam ein junger Pilger den Berg herunter. Er fragte nicht, ob ich Hilfe brauche und hat mir nicht aufgeholfen. Also habe ich mich aufgerappelt, meine Brille im Sand gesucht, die glücklicherweise nicht kaputt war.

Ich lief weiter zur Ponte Eiffel. Mein Blick fiel, auf eine für den Jakobsweg typische Ansammlung von Memorabilien. Meist sind es Steine. Im Mittelalter wurden Verbrecher zu einer Wallfahrt zum Grab des Apostels Jakobus nach Santiago verurteilt. Je nach Schwere der Tat, trug ihnen der Richter auf, einen Stein mitzutragen, als zusätzliche Buße.

Heute bringt der Pilger einen Stein aus seiner Heimat mit, legt ihn ab und damit die Sorgen und Last, die er auf den Camino mitbringt.

Ich sah nur diesen einen Stein, der unscheinbar am Rand lag.

We can be Heros just for one day, stand auf einem Stein geschrieben, auf den mein Blick fiel. Ist das ein Zufall?

Dieser Stein fütterte mich, gab mir Kraft. Ja, ich bin für heute eine Heldin. Ich falle, stehe auf und laufe weiter bis ich in meinem Hotel bin. Ich gehe Schritt für Schritt und singe „I am a Hero for today“. Am Ende bin ich 24 Kilometer gelaufen.

Der Camino gibt dir nicht das was du willst, sondern das, was du brauchst.

Unbekannter Pilger

Der Camino hat wieder zu mir gesprochen. Ganz deutlich.

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